Ankara argumentiert damit, dass Artikel nicht gelöscht wurden, die Terror propagierten. User konnten die Sperre aber umgehen.
Ankara. Twitter und Facebook waren schon mehrmals betroffen, nun ist es die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Die türkischen Behörden sperrten am Samstag den Zugang zu der Website, Wikipedia war laut der Internet-Beobachtergruppe Turkey Blocks in keiner ihrer zahlreich vorhandenen Sprachausgaben aufrufbar. Die Kommunikationsbehörde in Ankara rechtfertigte die Maßnahme mit „technischen Analysen und rechtlichen Überlegungen“.
Der Hintergrund: Wikipedia habe trotz Aufrufen Artikel nicht gelöscht, die den Behörden zufolge Terrorismus propagiert hätten. Wie bei den Sperren in der jüngeren Vergangenheit konnten viele User über Umwege zu den betroffenen Seiten gelangen. Insbesondere nach Anschlägen und Protesten kommt es vor, dass soziale Medien in der Türkei nicht aufrufbar sind, zuletzt betraf dies die Seite www.booking.com.
Im April hat eine knappe Mehrheit der Türken für eine Verfassungsänderung gestimmt, die Präsident Erdoğan mehr Macht verleiht. Kurz danach sind bei Razzien über 1000 Polizisten festgenommen worden. Kanzler Christian Kern verlangte am Samstag erneut, „unsere Beziehungen zur Türkei zu überdenken“. Ein unstabiles Land mit 80 Mio. Einwohnern könne sich die EU nicht leisten.
Kuppelshow-Verbot
Die türkische Regierung hat außerdem die im Land beliebten Kuppelshows verboten. Sendungen in Radio und Fernsehen, in denen Menschen einander vorgestellt werden, um einen Partner zu finden, "können nicht zugelassen werden", hieß es in einem am Samstag im Amtsblatt veröffentlichten Dekret. Vizeregierungschef Numan Kurtulmus hatte das Verbot im März angekündigt und gesagt, derartige Sendungen passten nicht zu den türkischen Sitten und Traditionen. "Es gibt einige merkwürdige Sendungen, die die Institution der Familie beschädigen und ihr die Würde und Heiligkeit nehmen", hatte er gesagt.
Regierungsgegner in der Türkei fürchten eine immer stärkere Ausrichtung der Politik nach einem konservativen Verständnis des Islam. Anhänger der Regierungspartei AKP argumentieren, Kuppelshows erhielten jedes Jahr tausende Beschwerden von Bürgern, weshalb ein Verbot im öffentlichen Interesse sei. Ebenfalls am Samstag hatte die türkische Regierung fast 3974 Staatsbedienstete entlassen, darunter mehr als tausend Mitarbeiter des Justizministeriums und mehr als tausend Armee-Angehörige. Die türkische Regierung geht seit Monaten gegen mutmaßliche Anhänger der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen vor, der sie vorwirft, hinter dem Putschversuch vom vergangenen Juli zu stecken.
(Ag/Red.)