Zelluloid bröselt: Wie bewahrt man die Bilder?

Ein bedrohtes Archiv: Die materielle Basis der Filme zerfällt zusehends.
Ein bedrohtes Archiv: Die materielle Basis der Filme zerfällt zusehends.(c) Mischief Films
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Michael Palms "Cinema Futures" - derzeit im Kino - befasst sich mit der Zukunft der Vergangenheit des Kinos: Was tun mit dem vom digitalen Wandel bedrohten Filmerbe? Das Thema ist auch in Österreich brisant.

Der Restaurator nimmt den Zelluloidstreifen in die Hand und zerdrückt ihn zwischen den Fingern. Ein kurzes Knistern, und es regnet braune Flocken – was in der Filmdose landet, kann man bestenfalls als Staub bezeichnen. Ein Stück Filmgeschichte weniger. Denn hier bröseln die sterblichen Überreste eines Originalnegativs von Georges Méliès. Dieser Kinomagier gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den Bahnbrechern der siebten Kunst.

Es ist, als hätte jemand eine antike Vase zerdeppert. Oder eine Van-Gogh-Skizze zerknüllt. Der Archivar schüttet die kristallinen Krümel in die Plastiktonne. Zu retten war das von Zeit und Verschleiß stark mitgenommene Werk ohnehin nicht mehr. Eine drastische Demonstration, die mit Nachdruck verdeutlichen soll, dass die Erhaltung des filmischen Erbes keine Selbstverständlichkeit ist. Dass das Kino, diese gespenstische Kunst aus Licht und Schatten, eine ganz und gar materielle Basis hat. Und dass diese Basis genauso verfallen kann wie jede andere auch.

Auch moderne Klassiker in Gefahr

Die beschriebene Szene stammt aus Michael Palms faszinierendem Dokumentaressay „Cinema Futures“, der seit Freitag in den heimischen Kinos läuft. Das vom Österreichischen Filmmuseum initiierte Projekt beschäftigt sich, wie es in Pressetexten heißt, mit der „Zukunft der Vergangenheit des Kinos“. Also mit der Frage, wie und in welcher Form das schillernde Laufbildgedächtnis der Menschheit bewahrt werden könnte – und was es dabei zu verlieren gibt. Die Sicherung früher, akut vom Zerfall bedrohter Filme ist nur ein Aspekt dieses vielschichtigen Themenkomplexes. Denn die Folgen der im Zuge der vergangenen fünfzehn Jahre mit Hochdruck vollzogenen Digitalisierung sämtlicher Kinodomänen zeichnen sich erst jetzt in aller Deutlichkeit ab. Der Schwund von Filmherstellern, Labors und Kopierwerken bringt mittlerweile auch Arbeiten aus den Siebzigern, Achtzigern und Neunzigern in Gefahr, wie Regisseur Martin Scorsese in „Cinema Futures“ mahnt – selbst Klassiker, denen dank popkultureller Präsenz eine Aura des Unvergänglichen anhaftet.

Doch die wachsende Verfügbarkeit von Laufbildern in digitalen Formaten hat das Bewusstsein für diese Entwicklung untergraben. Und die Archivierung über digitale Speichermedien wird immer wieder als Allheilmittel beschworen. Etwa in den automatisierten Datenlagerhallen von Sony, wo das Filmarchiv „aus den physischen Fesseln des Zelluloids“ befreit worden ist, wie es ein Firmenvertreter in Palms Essay ausdrückt.

Später offenbart ein anderer, dass man sich bei der Langzeitsicherung von Eigenproduktionen (auch solcher, die digital entstanden sind) lieber auf 35mm-Kopien verlässt. Die Bedeutung von Digitalisaten stellt niemand in Frage – auch weil analoge Auswertungsmöglichkeiten schwinden. Aber als Bildreservoir sind sie strittig, zumal sich die Technik stetig weiterentwickelt und die Daten alle fünf Jahre auf neue Formate umkopiert werden müssen: Ein ausgesprochen teures und labiles Unterfangen. Film bleibt indes eine relativ sichere Bank – auch österreichische Produktionsfirmen wie die Wega Film („Wilde Maus“) setzten darauf.

Verlust der Aufführungspraxis

Ein weiterer Haken der digitalen Archivierung ist die Verfremdung wesentlicher Eigenheiten analogen Materials – Textur, Farbwerte, Ton. Für den Endverbraucher ist das meist sekundär, doch betrachtet man Film als zentrales (kunst-)historisches Dokument des Industriezeitalters, fällt es schwer ins Gewicht. Ganz zu schweigen vom drohenden Verlust einer Aufführungspraxis, die unverbrüchlich an Projektoren und Filmstreifen gebunden ist. Die Brisanz dieser Problemfelder lässt sich nicht wegdiskutieren.

Preservation Center in Laxenburg?

International mehren sich Rufe nach der Entwicklung staatlich gestützter Strategien, die ein langfristiges Fortbestehen des Filmerbes gewährleisten können – und stoßen zunehmend auf offene Ohren. Im Februar verkündete Kulturminister Thomas Drozda bei der Berlinale sein Vorhaben, ein Film Preservation Center in Laxenburg zu errichten, das den Anforderungen von Branche, Kunstbetrieb und Archivwesen gerecht werden soll. Die Einrichtung könnte Österreich europaweit als wichtigen Filmsicherungsstandort etablieren. Selbst in Deutschland, wo sich digitale Speicherung als Standard durchzusetzen scheint, ließ das Konzept aufhorchen. Doch es gab auch Kritik: Der Zeitplan – die Eröffnung des Zentrums ist darin auf Jänner 2018 angesetzt – sei unrealistisch, der Standort zu weit weg vom Schuss.

Besonders die heimische Avantgardefilmgemeinschaft, die sich teilweise jetzt schon gezwungen sieht, Arbeitsschritte ins Ausland zu verlegen, sorgt sich um die reibungslose Abwicklung künftiger Projekte und wünscht sich mehr Mitspracherecht und Transparenz bei der Umsetzung. Jüngsten Meldungen zufolge werden ihre Bedenken berücksichtigt. Die letztgültige Beschaffenheit und Betriebsstruktur des Preservation Center ist noch nicht fix, im Juni erwartet man die nächsten Entscheidungen.

Stadtkino im Künstlerhaus, täglich um 19 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2017)

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