Das Medium Buch

Was nie automatisiert werden darf.

Wäre ich nicht Alexander, wollte ich Diogenes sein“, hören wir Alexander den Großen zu den Begleitern flüstern, als er dem im Fass hausenden Kyniker begegnete. Er äußerte dieses berühmte Wort nicht deshalb, weil er die Bescheidenheit, eher weil er die Schlagfertigkeit und Ironie des Philosophen bewunderte. Und es kostete ihn auch nichts, dies zu sagen, denn ihm war klar: Der Wunsch klingt fromm, aber er wird unerfüllt bleiben.

Mit dem gleichen Unernst sei mir zu behaupten erlaubt, dass ich, wenn ich nicht meinen jetzigen Beruf erreicht hätte, gerne Buchhändler geworden wäre. Es ist eine beneidenswerte Tätigkeit, weil das Vergnügen des Lesens einer bunten Literaturpalette, das in fast allen anderen Berufen in Urlaub und Freizeit verbannt ist, im Buchhandel Verpflichtung und Genuss zugleich ist. Nur so gelingt es zumindest einigermaßen, das reichhaltige Sortiment zu überblicken und zum kompetenten Ratgeber der Kundinnen und Kunden zu werden. Man kommt dabei zu gehaltvollen Gesprächen über Gott und die Welt – sei es, weil die Bücher dazu anregen, sei es, weil die Kaufinteressen dazu verführen.

Ich halte es für Unkenrufe, wenn entgegnet wird, die elektronische Welt der modernen Informationsverarbeitung werde dieses Bild verdrängen. Kann man doch, argumentieren die IT-Begeisterten, Bücher bequem übers elektronische Netz von gesichtslosen Lieferfirmen bestellen, ja werde man in Zukunft auf diese Bücher gar nicht mehr warten müssen, weil sie in elektronischer Form per Knopfdruck zu erwerben sind. Der Buchhandel sei demnach zum Aussterben verurteilt.

Sicher ist die Buchbestellung vom Heimcomputer aus ein attraktives Zusatzangebot, sicher wird das elektronische Buch eine mehr oder minder große Nische im Büchermarkt erobern. Aber genauso, wie man trotz der Erfindung des Rades und der Fahrzeuge immer noch spazieren geht, wird auch der klassische Buchhandel bestehen bleiben. Denn Bücher leben davon, dass sie nicht nur eine Geschichte erzählen, sondern dass sie selbst eine Geschichte haben: Sie warten in der Auslage oder im Regal darauf, geholt, gewogen, durchgeblättert, mit allen Sinnen begutachtet zu werden. Ratschläge und Empfehlungen der Buchhändlerin oder des Buchhändlers verleihen ihnen eine Aura, die sie bewahren, selbst dann, wenn man sie erst Monate, Jahre später liest, vielleicht nur anliest, ja sie sich bloß zu lesen vornimmt und diesen Vorsatz niemals einlöst. Es ist die Unaufdringlichkeit, mit der Bücher ihre Geschichten anbieten, die so angenehm anspricht und den Buchhandel ein nobles Gewerbe sein lässt.

Man fühlt sich darin bestätigt, wenn man anlässlich der eben angelaufenen Buch Wien 09 in der Messe Wien an den Regalen vorbeiflaniert und im Übrigen zur Vermutung verleitet wird, das Klischee vom lesefaulen Österreicher sei endgültig widerlegt: Es wird hierzulande mehr denn je gelesen.

Rudolf Taschner ist Mathematiker und Betreiber des math.space im Wiener Museumsquartier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2009)

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