Brexit wird noch teurer

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Symbolbild Brexit. (c) imago/IPON (imago stock&people)
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Brüssels Sonderverhandler Barnier zerstäubt britische Hoffnungen auf ein Entgegenkommen nach Unterhauswahl.

Brüssel. Wie viel Geld wird das Vereinte Königreich der Europäischen Union nach seinem Austritt aus der selben schuldig sein? Auf Grundlage des Leitfadens für die Verhandlungen über den Brexit, dessen Entwurf Michel Barnier, der Sonderverhandler der Europäischen Kommission, am Mittwoch in Brüssel vorgestellt hat, kann man grobe Rechnungen anstellen. Und die legen, wie voneinander unabhängige Zahlenspiele der Brüsseler Denkfabrik Bruegel und der „Financial Times“ zeigen, nur einen Schluss nahe: der Austritt aus der Union wird die britische Regierung teurer zu stehen kommen, als sie es sich und ihren Bürgern bisher einzureden versuchte. Brutto bis zu 113 Milliarden Euro könnten es werden, resümiert die Londoner Finanzzeitung: fast doppelt so viel wie die bisher oft kolportierten rund 60 Milliarden Euro.

„Verdammt schwierige Frau“

Netto wäre die britische Schuld bei den Europäern zwar geringer. Nach Einberechnung von Rückflüssen aus dem Unionshaushalt nach London und der Einbeziehung des „Britenrabatts“ in der Landwirtschaftspolitik, der allein im Jahr 2018 rund acht Milliarden Euro betragen wird, müssten die Briten trotz auslaufender Mitgliedschaft laut „Financial Times“ zwischen 55 und 75 Milliarden Euro, gemäß Bruegel 42 bis 65 Milliarden Euro überweisen.

Die politische Sprengkraft eines nominell dreistelligen Milliardenbetrags, der an das verhasste Brüssel zu zahlen sei, ist allerdings einen Monat vor der von Premierministerin Theresa May ausgerufenen vorzeitigen Unterhauswahlen am 8. Juni enorm. May hatte erklärt, sie beabsichtige in den Verhandlungen eine „verdammt schwierige Frau“ zu sein. Und ihr Brexit-Staatssekretär David Davis drohte am Mittwoch, seine Regierung werde nicht als Bittsteller in die Gespräche gehen.

Barnier trat am Mittwoch im Ton konziliant, aber in der Sache unerschütterlich vor die Medien. Er erteilte Mays Hoffnung, nach ihrem möglicherweise überwältigenden Wahlsieg innenpolitisch gestärkt Zugeständnisse in Brüssel erwirken zu können, eine Abfuhr: „Die Wahlen werden nichts an der Haltung und Überzeugung der EU ändern, wie sie am Samstag beschlossen wurden.“

Zuzug bis 2019 erlaubt

Der frühere französische Außenminister und mehrfache EU-Kommissar legte ein Verhandlungsmandat vor, welches sich mit dem Beschluss vom Europäischen Rat der 27 Chefs am vergangenen Wochenende deckt. Es hält fest, dass das Vereinte Königreich alle Verpflichtungen, welche es bis zum Ende seiner am 29. März 2019 um Mitternacht endenden Unionsmitgliedschaft eingegangen ist, einlösen muss.

Die britische Gegenforderung nach Anteilen am Unionsvermögen (unter anderem den Gebäuden der Institutionen) verhallte in Brüssel unerfüllt: die EU habe Rechtspersönlichkeit, ihr Vermögen gehöre ihr. Auch die Hoffnungen von Mays Regierung, den Zuzug von Unionsbürgern frühestmöglich zu begrenzen, werden in Brüssel mit Verweis auf das Unionsrecht zerstäubt: Solange das Vereinte Königreich zur EU gehört (also bis 30. März 2019), darf jeder Unionsbürger zuziehen, eine Arbeit suchen oder sich selbstständig machen.

Wie beim Bergwandern solle man es halten, empfahl der Savoyard Barnier der britischen Premierministerin: stets einen Schritt nach dem anderen, ruhig atmen – und stets den Gipfel im Blick behalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2017)

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