Albertina: Maria Lassnig kann man nicht entkommen

Grellgelbe Sentimentalität: „Das Erinnern – das ist Liebe“, 1997. Durchgestrichene Beschriftung oben: „Die Illusion von den versäumten Heiraten.“ Darunter: „Erinnerung ist eine Illusion. Die Illusion der versäumten Lieben.“
Grellgelbe Sentimentalität: „Das Erinnern – das ist Liebe“, 1997. Durchgestrichene Beschriftung oben: „Die Illusion von den versäumten Heiraten.“ Darunter: „Erinnerung ist eine Illusion. Die Illusion der versäumten Lieben.“(c) © Albertina Wien
  • Drucken

In ihren Zeichnungen war Maria Lassnig noch persönlicher als in ihren Gemälden. Falls das überhaupt geht. Die erste posthume Retrospektive ihrer Grafik bestätigt das, mit zum Teil noch nie gezeigten Blättern. Schwer ergreifend.

Diese Blicke lassen einen nicht los, nicht die graublauen Augen der 23-jährigen Malereistudentin, nicht die comichaft aus dem Kopf heraustretenden der Greisin. Immer scheinen sie über einen hinwegzuschauen, zumindest durch einen hindurch. Auf etwas in weiter Ferne gerichtet, auf etwas, was hinter uns, den Betrachtern, liegt, still, stumm, ernst, traurig, manchmal wie paralysiert, im Schock geweitet.

Was Lassnig sah und fühlte, das kann man spüren in ihren Formen und Farben, ihren Selbstdarstellungen. Immer dreht es sich bei ihr um sich selbst, um ihre Gefühle, ihren Körper, eben ihre „Körperwahrnehmung“, wie sie es nannte. Dass diese äußeren nicht von den inneren Zuständen zu trennen sind, hat Francis Bacon am Männerkörper vorexerziert. Lassnig führt es uns an ihrem eigenen Körper vor, viel direkter, ungeschützter, offener, in unerbittlicher Konsequenz und Gnadenlosigkeit. Sie ist die bedeutendste Malerin an der Schnittstelle zwischen Klassischer Moderne und Postmoderne, Konzeptkunst. Das wird nach ihrem Tod mit 94 Jahren klarer, noch klarer als zu ihrer Lebzeit.

Morgen, am 6. Mai, ist dieser Tod nun genau drei Jahre her. In diesen Jahren ist eine beispiellose Aufarbeitungsarbeit angerollt, möglich gemacht durch einen professionellen Schritt, durch die Stiftung, die sie zuletzt noch gründete, der Peter Pakesch vorsteht. Gerade erst erschien eine grandiose Biografie (von Natalie Lechner, Brandstätter Verlag), eine Ausstellung scheint auf die nächste zu folgen (Essen, Athen, Florenz, jetzt Albertina), die Werkverzeichnisse werden gerade zusammengestellt – was erklärt, warum in dieser ersten posthumen Retrospektive ihres grafischen Werks jetzt noch keine Werkverzeichnis-Nummern zu finden sind – man will noch warten, man sucht noch, man ordnet ein, so Kuratorin Antonia Hörschelmann.

Die Albertina hat neben der Stiftung den größten Bestand an Zeichnungen Lassnigs, basierend auf einer Schenkung der Künstlerin von 30 Blättern vor zehn Jahren, und die Bestände der Essl-Sammlung. Gerade erst konnte man durch Fundraising weitere sechs großartige Zeichnungen für das Museum erwerben, darunter eine Hitchcock-inspirierte Viererserie, in der sie fast filmisch einen Mord (an sich selbst natürlich) zeigt, gespiegelt in einer Spiegelscherbe. 1973 war das, sie zeichnete hart und realistisch, sie lebte gerade in New York, wo man mit ihren abstrakteren Körperwahrnehmungen nichts anfangen konnte, die sie in Paris entwickelt hatte.

Womit wir schon mitten in diesem Lebenswerk wären, das hier so ordentlich, in 80 Blättern aufgebreitet, vor einem liegt – in der kleineren Galerie im Obergeschoß übrigens, was Lassnig wohl weniger charmant gefunden hätte. Es soll das Vorspiel sein zur großen Gesamtwerk-Ausstellung zum 100. Geburtstag Lassnigs in zwei Jahren, die ebenfalls in der Albertina Station machen wird (beginnend im Stedelijk Amsterdam). Alles schon gedealt von Albertina-Direktor Schröder mit der Lassnig-Stiftung, die Positionierung der Albertina als Universalmuseum für internationale und österreichische Malerei und Grafik von damals bis heute scheint endgültig vollzogen. Die Nischen bleiben den Nischenmuseen, bis halt jemand kommt, der kulturpolitisch oder managementmäßig dieser Vormachtstellung Konter geben kann, hoffentlich produktiv.

In Lassnigs Werk hat die Grafik jedenfalls einen eigenständigen Platz, es sind keine Vorzeichnungen, es ist der Ideen-Pool, aus dem sie auch für ihre Malerei schöpfte. Großartig sind die frühen Aquarelle, an denen man ihre am Expressionismus geschulte Sicherheit erkennt, mit Komplementärfarben Bilder aufzubauen. Schnell arbeitete sich die Kärntnerin durch die Moderne, die gestische Abstraktion, den Surrealismus, um ihre von Psychologie und Trickfilm geprägte Formensprache zu finden – ihre wunderbaren, humorvollen Trickfilme fehlen übrigens, was sehr schade ist, gerade im Zusammenhang mit ihrem zeichnerischen Werk, das so viel klassischer, isolierter, melancholischer daherkommt, als es gemeint war.

Grellgelbe Erinnerung an die Liebe

Allein dieses Neongelb, mit dem sie vor allem ab den 1990er-Jahren, als sie wieder in Wien lebte, ihre Bleistiftzeichnungen hinterlegte! In dieser Grellheit öffnen sich unerhörte Abgründe, vertieft noch durch Inschriften, die einen erstarren lassen: „Das Erinnern – das ist Liebe“ zum Beispiel, wo Lassnig, die bewusst Mann- und Kindlose, ein Männerbaby in ihren Armen wiegt. Hier fühlt man sich so nahe dran an dieser Künstlerin, dass es einem fast zu viel werden kann. Das Alterswerk! Dieser immer zittriger werdende Strich, diese immer verknoteteren, verhutzelten Gestalten, das Erschrecken vor dem eigenen Selbstporträt, vor dem eigenen Tod, dem Ende – alles findet man hier, man wollte es sich gar nicht so genau vorstellen. Lassnig hat ihren Blick von sich nicht abgewandt, bis zuletzt, es ist einfach umwerfend.

Nicht alles wollte sie teilen, sie trennte sich schwer von Bildern, sagte manchmal Ausstellungen ab, weil der Kunsttransporter vor dem Atelier stand. Erstmals, aus dem Stiftungsbestand, werden jetzt einzelne Arbeiten erst sichtbar, etwa das „Letzte Bild meiner Mutter“ (1964), an der Lassnig so hing, ein Aquarell, auf dem sich die Liegende und auch Lassnig selbst daneben, mit ihrem charakteristischen Hundegesicht, fast auflösen in blassen, wässrigen Farben. Dem ist nicht zu entkommen. Die Kunst bleibt.

„Zwiegespräche“: bis 27. 8., täglich 10–18 h, Mi bis 21 h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.