100 Tage Van der Bellen: Mit Ironie zum Staatsnotar

Van der Bellen, der Pro-Europäer.
Van der Bellen, der Pro-Europäer.APA/GEORG HOCHMUTH
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Sein Kopftuch-Sager brachte dem Bundespräsidenten den ersten "Shitstorm" ein - und zeigt Van der Bellens Spaß am offenen Diskurs. Eine Bilanz über seine ersten Tage in der Hofburg.

Am Freitag ist Alexander VanderBellen genau 100 Tage Bundespräsident - und nach seinen eigenen Worten ist er bereits in seinem Amt angekommen. Doch gerade jetzt brachte ihm eine unbedachte Kopftuch-Äußerung den ersten "Shitstorm" seiner Amtszeit ein. Davon abgesehen gibt der frühere Grüne den Staatsmann, der auch die berühmte Tapetentür - Sinnbild für diskretes Verhandeln - zu bedienen weiß.

Mit seiner Kopftuch-Aussage sorgte der Tiroler nicht nur im In-, sondern auch im Ausland für Kritik. "Wenn das so weitergeht (...) wird noch der Tag kommen, wo wir alle Frauen bitten müssen, ein Kopftuch zu tragen, alle, als Solidarität gegenüber jenen, die es aus religiösen Gründen tun", hatte er bei einem Auftritt im Haus der Europäischen Union in Wien vor Jugendlichen gesagt - um später etwas zurückzurudern. In einem Interview mit der "Krone" räumte das Staatsoberhaupt am Donnerstag ein, die Formulierung sei ein "Fehler, wenn man so will" gewesen. "Hin und wieder wird man auch etwas sagen müssen, wo man im Moment viel Kritik einsteckt. Aber auf Dauer wird vielleicht doch verstanden, was man eigentlich sagen wollte."

Dass ein österreichischer Bundespräsident auf tagespolitische Wortmeldungen lieber verzichten sollte, hat VanderBellen jedoch grundsätzlich verinnerlicht. Deutlich wurde das in seiner ersten Zeit in der Hofburg beim Flüchtlingsthema: Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) sprach vom "NGO-Wahnsinn", worauf ihn VanderBellen nicht öffentlich abkanzelte, sondern subtilerweise Repräsentanten von Hilfsorganisationen zu sich lud und ihre Arbeit lobte.

Standing Ovations im Europaparlament

Auch allzu kritische Kommentare zu den europapolitischen Volten von SPÖ und ÖVP - von der Familienbeihilfen-Indexierung über das Flüchtlingsumverteilungsprogramm der EU bis hin zur Frage von Flüchtlingscamps in Afrika - verkniff sich das Staatsoberhaupt in guter Tradition ebenso, machte aus seiner eigenen Pro-EU-Haltung wie schon im Wahlkampf aber kein Hehl. Vor allem in Brüssel, aber auch in Berlin wurde dies bei seinen Antrittsbesuchen geradezu mit überschwänglicher Euphorie quittiert.

„Lassen wir uns doch nicht einreden, es wäre ein gutes Geschäft, wenn wir die Macht unserer großen europäischen Gemeinschaft gegen die viel kleinere Macht der vermeintlichen nationalen Souveränität eintauschen. Am Ende wäre das nämlich ein Verlust für uns alle", trat Van der bellen vor dem Europaparlament in Straßburg für die europäische Integration ein - und ergatterte sich für seine den Nationalismus geißelnde Rede Standing Ovations der EU-Abgeordneten.

Hang zur Inszenierung in Hofburg angekommen

In Österreich versucht VanderBellen, möglichst wenig Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass er das erste nicht von einer der beiden einstigen Großparteien gestellte Staatsoberhaupt ist, sondern Ex-Chef einer einstigen Bürgerschreck-Partei. Und so tut er alles, was seine Amtsvorgänger auch schon taten: Das Protokoll achten, Politiker und Sozialpartner zum Gespräch treffen, Regierungsmitglieder angeloben, das Bundesheer besuchen, Schnellstudierende auszeichnen, Staatsgäste empfangen und Gesetze beurkunden.

Dass Staatsoberhäupter in der Öffentlichkeit jedes Wort auf die Waagschale legen müssen, dürfte VanderBellen wohl bewusst sein, war doch sein Vorgänger Heinz Fischer Meister des "Einerseits-Andererseits". Dazu kommt, dass sich sein persönlicher Mitarbeiterstab großteils aus den Reihen der Grünen rekrutiert. Der Hang zur Inszenierung und zur Kontrolle der Kommunikation ähnlich jenem von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) ist damit in der Hofburg angekommen.

"Österreich, das sind einfach wir alle"

Spaß an einem offenen Diskurs hat der einstige Uni-Professor aber allemal - und so ist es kein Wunder, dass jene Äußerungen, die bei seinen Medienbetreuern für Schweißausbrüche sorgen, oft bei Diskussionsveranstaltungen fallen: Sei es sein Sager zum solidarischen Kopftuchtragen, sein Achselzucken gegenüber dem Akademikerball oder das Ausplaudern seiner Reisepläne vor Schülern gleich an am ersten Arbeitstag als Bundespräsident.

Den Ton für seine Präsidentschaft gab VanderBellen schon bei seiner Antrittsrede vor der Bundesversammlung am 26. Jänner vor. "Dieses Gerede von der Spaltung halte ich für maßlos übertrieben. Österreich, das sind einfach wir alle", sagte er in Anspielung auf den hitzigen Wahlkampf gegen seinen Mitbewerber Norbert Hofer, der wegen des Kopf-an Kopf-Rennens auch international für Aufsehen sorgte.

Er wolle - "eh klar" - ein Bundespräsident für alle in Österreich lebenden Menschen sein, meinte er und unterlief damit ironisch den Pathos des von seinem Stab erarbeiteten Redetexts. Die Wandlung scheint damit vollzogen: Vom links-intellektuellen Grünen-Chef über den wahlwerbenden Heimatfreund hin zum Staatsnotar für sechs Jahre.

(APA/Red.)

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