Fernseh-Beobachtungen

"Im Namen des Volkes": Wer braucht dieses Show-Urteil?

Irmgard Griss in der ersten Sendung "Im Namen des Volkes" auf Puls4.
Irmgard Griss in der ersten Sendung "Im Namen des Volkes" auf Puls4.Screenshot/Puls4
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Die neue Puls4-Show brachte uns Irmgard Griss als Richterin zurück. Das "Volk" fällte am Ende der Verhandlung eine Entscheidung zum Kopftuchverbot, insgesamt aber wollte die Sendung zu viel.

13 Monate nach ihrem letzten großen TV-Auftritt während der Bundespräsidentenwahl sucht Irmgard Griss wieder das Kameralicht. Für den Auftakt ihrer neuen Puls4-Sendung "Im Namen des Volkes" hat sie sich einen schwierigen Abend mit starker Konkurrenz ausgesucht. Politisch Interessierte schauen zu dieser Zeit wohl nach Frankreich, wo gerade die ersten Hochrechnungen der Präsidentschaftswahlen und der deutliche Sieg von Emmanuel Macron bekannt werden. Außerdem läuft sonntags der "Tatort". Aber irgendwas ist ohnehin immer los.

Wir schalten jedenfalls Puls4 ein um 20:15 Uhr, weil wir gespannt sind, wie sich die ehemalige OGH-Präsidentin Griss, die im Vorjahr das höchste politische Amt im Staat anstrebte, als TV-Richterin macht. Während des Präsidentschaftswahlkampfes hatte man ja nicht immer den Eindruck, sie genieße ihre Fernsehmomente. Diesmal geht es nicht direkt um (Partei-)Politik, in der Live-Sendung soll auch kein Straf- oder Zivilprozess nachgestellt, sondern eine gesellschaftspolitische Grundsatzfrage diskutiert werden, nämlich die, ob ein Kopftuchverbot an Schulen sinnvoll ist. Aber eine Gerichtsverhandlung ist keine Diskussionssendung und Gesetze werden im Parlament, nicht im Gerichtssaal gemacht. Diesen Spagat versucht der Sender tapfer zu meistern – und scheitert.

Puls4-Moderator Thomas Mohr hat zuerst die Richterin und die beiden Verhandlungsparteien vorgestellt: Die aus Deutschland angereiste Anwältin, Menschenrechtsaktivistin und Muslimin Seyran Ates, die für ein Kopftuchverbot eintritt und die österreichische Philosophin und interkulturelle Pädagogin Amani Abuzahra, selbst Kopftuchträgerin, die dagegen ist. Er erklärt auch, wieso die Sendung heißt wie sie heißt. Die Bevölkerung soll am Ende der Verhandlung eine Entscheidung fällen. Das "Volk" sind in diesem Fall 500 österreichische, wahlberechtigte Staatsbürger, die das Meinungsforschungsinstitut OGM ausgewählt hat. Zwölf von ihnen sind sozusagen als Geschworene bei der Live-Sendung anwesend. Mohr ist zudem bemüht, Spannung aufzubauen: "Es ist eine Verhandlung, in der Argumente zählen sollen. Es geht aber auch um Taktik und Nervenstärke." Kurz vor einer Werbepause sagt er später: "Es wird unweigerlich spannender". Na dann. 

"Haben wir keine anderen Probleme in Österreich"

Erst jetzt betritt Richterin Irmgard Griss den TV-Gerichtssaal, der doch aussieht wie ein simples Talkshow-Studio mit drei Tischen - und nimmt hinter einem schmucklosen Holzpult Platz. Sie trägt ein schwarzes Kostüm, einen geblümten Steckschal - und man ist der Regie in diesem Moment dankbar, dass sie Griss und uns einen Talar erspart hat. Die Sat1-Richter Barbara Salesch und Alexander Hold mussten einen solchen tagein tagaus in ihren Shows tragen. Griss spielt keine Rolle, sie gibt sich selbst: die routinierte Richterin, die sich nicht mit langen Begrüßungsfloskeln aufhält. "Bitte nehmen sie Platz. Ich eröffne die Verhandlung“, sagt sie knapp. Die kühle Verhandlungsführerin, die sich sachlich nicht einmischt, bleibt sie die folgenden 90 Minuten. Nur einen einleitenden Satz schickt sie vorweg: "Letztlich geht es bei der Debatte darum, wie kann die Integration der muslimischen Zuwanderer gefördert werden. Hindert oder fördert so ein Kopftuchverbot die Integration."

Danach hören wir die Eröffnungsplädoyers der beiden Verhandlungsseiten. Seyran Ates darf als Befürworterin des Kopftuchverbots beginnen, weil ihre Forderung eine Änderung der geltenden Rechtslage in Österreich bedeuten würde. Als nächstes darf jede Verhandlungsseite einen Zeugen aufrufen. Amani Abuzhara hat sich für Schulschwester Beatrix Mayerhofer entschieden, die als Ordensschwester selbst eine Kopfbedeckung trägt und die Argumente von Abuzhara mit Erzählungen aus ihrer Lehrpraxis untermauert. Sie sagt während ihrer Zeugenbefragung aber vor allem einen Satz, der den Inhalt der kompletten Sendung zunichte macht: "Ob du da jetzt ein Stück Tuch auf dem Kopf hast - haben wir keine anderen Probleme in Österreich?"

Dann folgen Videobeweise, Expertenbefragungen, Argumente, Gegenargumente. Es schwirrt einem rasch der Kopf, obwohl man anerkennend feststellt, dass hier etwas gelingt, woran politische Talkshows oft scheitern: Hier wird ruhig und sachlich, ohne Hast diskutiert. Erst zum Schluss wird die Kopftuchverbot-Befürworterin Ates ihrer Gegnerin das am häufigsten verwendete Argument in Diskussionssendungen vorwerfen: "Sie unterbrechen gerne." Angriffiger wird's nicht.

Deutliches "Ja" für das Kopftuchverbot

Irmgard Griss verkündet das Stimmergebnis zum Kopftuchverbot.
Irmgard Griss verkündet das Stimmergebnis zum Kopftuchverbot.Screenshot/Puls4

Nach zwei Werbepausen verliest Richterin Griss das Ergebnis und hält dabei ein weißes Taferl mit dem Wort "Ja" in die Kamera. Eine sehr untypische Pose bei Urteilsverkündungen, aber gut, ein bisschen Inszenierung ist erlaubt. Die 500 Volksvertreter haben für ein Kopftuchverbot an Schulen gestimmt - und zwar deutlich, wie die Zahlen später zeigen. Es wirkt, als wären Redaktion, Moderator und der anwesende Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer irgendwie überrumpelt von diesem deutlichen Stimmergebnis. Die erste eingeblendete Grafik ist offensichtlich fehlerhaft: 81 Prozent haben für, neun Prozent gegen das Kopftuchverbot gestimmt. "Das kann sich nicht ausgehen", sagt Moderator Thomas Mohr und fragt in die Regie: "Haben wir da vielleicht 19 Prozent?" Später zeigen Stimm-Analysen, dass Wähler fast aller Parteien, auch der Grünen, sehr ähnlich, nämlich ähnlich hoch (an die 70 bis 80 Prozent) für das Kopftuchverbot gestimmt haben. Die durch dieses Ergebnis überstimmte Amani Abuzahra formuliert einen Verdacht: Schon im Vorfeld der Sendung habe Puls 4 auf Facebook Meinungen zur Debatte eingeholt. Wer für ein Kopftuchverbot sei, sollte mit einem Herz (über 815), wer dagegen mit einem wütenden Emoji (über 610) stimmen. Schon durch die Auswahl der Emojis habe man eine Beeinflussung vorgenommen, glaubt sie. Thomas Mohr nimmt die Kritik kurz auf und stimmt zu, dass solche Abstimmungen auf Facebook mitunter problematisch sein können.

Lange blieb sie die kühle, aber freundliche Zeremonienmeisterin in diesem TV-Gerichtssaal, zum Schluss wird Griss doch persönlich. Nun wirkt sie beinah präsidial, jedenfalls konsens-orientiert und ausgleichend: "Ich finde, dass die Plädoyers, die wir gehört haben, die Aussagen der Zeugen und die Videos gezeigt haben, welch ein vielschichtiges Thema es ist. Auch wenn das ,Ja' jetzt ein Stimmungsbild der Österreicher wieder gibt, dann kann das auf keinen Fall als eine Aussage gegen muslimische Mitbürger gesehen werden. Es ging um die Frage der Schule. Man sieht daraus aber auch, wie viel wir tun müssen, um in der Integration weiterzukommen. Damit sich unsere muslimischen MitbürgerInnen angenommen fühlen. Daran haben wir alle zu arbeiten, Das muss ein Auftrag aus dieser Sendung sein“. Das klingt wie der nachträglich verabreichte Beipackzettel zur Sendung, auf dem steht: "Wir haben ja nur gespielt. Nehmen Sie das Ergebnis nicht so ernst." Aber wozu dann bitte überhaupt dieses Show-Urteil?

Die erste Ausgabe der Sendung hinterlässt einen ratlos. Das Team wollte offensichtlich zu viel: Gerichtsshow plus Diskussionssendung plus Publikumsvoting plus Mini-Wahlanalyse. In Ansätzen gelang eine differenzierte Diskussion ohne Untergriffe, dafür gebührt auf jeden Fall ein Plus. Gut auch, dass hier vorwiegend Frauen ein Thema diskutieren, das gerade Frauen betrifft. Nur mit ein paar Pluspunkten hat noch niemand einen Prozess gewonnen. Eine Fernsehsendung auch nicht.

*In einer früheren Version dieses Textes haben wir fälschlicherweise Amina Abuzhara statt Amani Abuzahra geschrieben und ihre genaue Berufsbezeichnung nicht erwähnt. Wir bedauern. 

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