„Get Out“: Auch Obama-Wählern ist nicht zu trauen

Chris (Daniel Kaluuya) trifft die Eltern seiner weißen Freundin. Dabei kann doch nichts passieren?
Chris (Daniel Kaluuya) trifft die Eltern seiner weißen Freundin. Dabei kann doch nichts passieren?(c) Universal Pictures
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Komiker Jordan Peele legt mit „Get Out“ sein Regiedebüt vor: Es ist keine Komödie, sondern ein Horrorfilm, der sich mit dem unterschwelligen Rassismus liberaler Eliten befasst. In Übersee ein Sensationserfolg – zu Recht.

Der junge Mann ist nervös. Keine Ahnung, wie er sich in diese Gegend verirrt hat. Ein gefährliches Viertel, die Schatten haben Augen. Immer ruhig Blut, nur nicht auffallen. Hände in die Jackentaschen, gebeugter Gang, Blick in Richtung Boden. Ein Auto fährt vor – langsam und absichtsvoll, wie ein Raubtier vor dem Sprung. Drohende Musik schallt aus dem Inneren. Jetzt nur keine Dummheiten. Einfach weiterlaufen, auf keinen Fall umdrehen, Schritt für Schritt gen Sicherheit. Also gut: eine kurze Vergewisserung. Abgehängt! Glück gehabt, Schreck lass nach. Alles in Ordnung. Alles in Ordnung. Alles ...

Nichts ist in Ordnung. Natürlich nicht – schließlich handelt es sich um ein Szenario, wie man es aus vielen Filmen (und womöglich auch aus der Wirklichkeit) kennt. Der Fremde im falschen Stadtteil, das Schäfchen im Dschungel der Nacht: Mit klassischem Spannungsaufbau, trügerischer Entwarnung und treffsicher zuschnappendem Schockeffekt. Ein Suspense-Exerzitium par excellence. Nur: Meist spielt es mit der Angst des behüteten Zuschauers vor dem sozialen Abseits. Studenten im unzivilisierten Hinterland. Touristen in rückständigen Regionen. Oder – jetzt wird's heikel – Weiße im schwarzen Ghetto. Das wissen die Macher von „Get Out“ nur zu gut.

Das Böse hinter betulichen Fassaden

Und machen es sich zunutze. Wie clever dieser ungewöhnliche Film ist, zeigt schon sein Einstieg. Er läuft wie oben beschrieben ab – nur ist der junge Mann ein Afroamerikaner (was dachten Sie?) und das gefährliche Viertel eine gepflegte, suburbane Reihenhausallee. Hübsch, keine Frage. Aber auch kein Grund, nicht auf der Hut zu sein.

Denn hinter betulichen Fassaden wuchert das Böse oft besonders wild. Was verdrängt wird, kehrt unweigerlich in monströser Form zurück. Davon zeugen etliche Horror- und Mysteryklassiker: „Rosemaries Baby“, „Die Frauen von Stepford“, Brian Yuznas „Society“, jeder zweite Film von David Lynch. Regiedebütant Jordan Peele nimmt sich diese Arbeiten zum Vorbild und nutzt ihr Mummenschanzmodell, um aufzuzeigen, wie Rassismus im postrassistischen Zeitalter funktioniert. Nicht der von Trump und Le Pen – da gibt es wenig zu erklären. Eher jener gebildeter Eliten: Ein „aufgeklärter“ Rassismus, der zum Teil nicht einmal den Diskriminierten selbst auffällt.

Dafür bedient sich Peele der Prämisse eines kanonischen Hollywood-Versöhnungsdramas: „Rat mal, wer zum Essen kommt“ (1967) mit Sidney Poitier. Darin stößt eine Tochter aus gutem weißen Haus ihre Eltern mit einem schwarzen Verlobten vor den Kopf. Die Vorurteile weichen jedoch bald einem Happy End. In „Get Out“ wird der junge schwarze Fotograf Chris (Daniel Kaluuya) endlich bei der Familie seiner Freundin (Allison Williams, „Girls“) im großstädtischen Speckgürtel vorstellig. Er macht sich Sorgen – doch Ressentiments scheinen diesen Vorzeige-WASPs (White Anglo-Saxon Protestants) fremd. Der Vater ist Neurochirurg, die Mutter Psychotherapeutin. Klar, ihr ansehnliches Anwesen verströmt ungute Plantagenstimmung. Und die Dienerschaft ist schwarz – was für ein Klischee!

Aber Papa betört mit amerikanischer Freundlichkeit: Wie gern hätte er Obama noch ein drittes Mal gewählt! Tiger Woods? Riesenfan! Jesse Owens? Sowieso! Die Befürchtung eines täppischen Freundes von Chris, die reichen Weißen da draußen würden sich Schwarze als Sexsklaven halten? Ein lächerliches Hirngespinst. Alles in Ordnung. Alles in Ordnung. Alles?

Mehr sollte nicht verraten werden. Wie „Get Out“ seine satirischen Zwiebelschichten entblättert, macht die Hälfte des Vergnügens aus. Das ausgeklügelte, bis ins Detail durchdachte Konzept des Films zeugt vom Sketch-Comedy-Hintergrund des Regisseurs: In der Show „Key & Peele“ nahm er die Fallstricke politischer Korrektheit ebenso aufs Korn wie Gegenwartsrassismen aller Art. Der Flirt mit dem Horrorgenre lag schon dort nicht fern: In einer Folge bricht eine Zombieepidemie aus, die beiden Helden laufen um ihr Leben – bis sie feststellen, dass weiße Untote nicht an schwarzem Hirn interessiert sind. Alte Gewohnheiten!

Mehr Sozialkritik als Kino

Zombies kommen in „Get Out“ keine vor. Dennoch steht er in der Tradition von „Die Nacht der lebenden Toten“. Auch George Romeros Gruselgroßtat hatte einen schwarzen Protagonisten und politisches Bewusstsein. Doch während sie sich in erster Linie als Kino verstand, und nur sekundär als Sozialkritik, verhält es sich mit Peeles Werk genau umgekehrt – und das ist seine einzige Schwäche. Alles dient der Idee. Jede Pointe sitzt, doch außer Pointen nimmt man wenig mit.

Unheimlich ist der Film allemal, aber nicht wirklich verstörend. Es gibt ein paar interessante visuelle Einfälle (besonders eine Hypnose-Sequenz bleibt in Erinnerung), doch die glatte Normästhetik springt nur selten über ihren Schatten. Zuvorderst erscheint „Get Out“ als Diskursobjekt – vielleicht mit ein Grund für seinen Sensationserfolg in den USA. Nicht falsch verstehen: Dieser Erfolg sei ihm mehr als vergönnt. Auf dem Horrorfließband der Traumfabrik findet sich nur selten Vergleichbares. Also nichts wie raus. Und ab ins Kino.

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