Leitartikel

100 Tage Winterschlaf und ein Kopftuch

Alexander Van der Bellen
Alexander Van der BellenAPA/GEORG HOCHMUTH
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Alexander Van der Bellen ist als Bundespräsident, wie er als zerstreuter Chef der Grünen war: bei Bedarf links, rhetorisch originell und immer für ein zünftiges Fettnäpfchen zu haben.

Die Politikjournalisten konnten sich kaum mehr einkriegen. „Retter Europas“, „Vdb, ein Glücksfall für EU und Österreich“ und „Er hat das Zeug zu einem großen Präsidenten“. Dem Vernehmen nach klopften Journalistengewerkschaft und Caritas schon wegen einer Seligsprechung in Rom an, aber der Vatikan fürchtete, der einflussreichste europäische Staatsmann seit François Mitterrand, was heißt: seit Winston Churchill, könnte diesen Prozess als zu banal ablehnen. Das war ironisch, schrieb Van der Bellen nun.

Immerhin: Seine ersten Auftritte in Straßburg im Europaparlament und bei der Angelobung zu Wien bewiesen, dass der Präsident rhetorisch mehr kann als im 40-Runden-Boxkampf gegen Norbert Hofer und dass er im Gegensatz zum Vorgänger keine klaren Ansagen scheut. Sein kompromissloses Bekenntnis zu Europa war ein erfrischendes Gegenprogramm zum Wettbewerb der Rechts-, Links- und neuen Mitte-Populisten in Österreich. Dann folgte eine Phase, die langjährige Beobachter Van der Bellens kennen: Der gute Mann nahm sich aus dem Medienzirkus heraus, inspizierte die Hofburg, las Bücher, übergab die Dokumente seinem Stab und dachte nach. Oder hielt Winterschlaf. Als Grünen-Chef hatte er mit dieser Verstecktaktik in Umfragen immer zugelegt. Wer nichts sagt, macht keine Fehler. Dummerweise wird der Präsident – vom Getue um die Regierungsbildung abgesehen – daran gemessen, was er wann sagt.


Bizarr. Und noch eine alte Eigenheit Van der Bellens, die er im Wahlkampf auf Empfehlung seiner Berater elegant überspielt hatte, trat zutage: Kaum spricht der Mann in ein Mikro, kann es schräg bis originell werden. So geschehen, als Van der Bellen vor Schülern witzig sein wollte und meinte, bald müssten vielleicht alle Frauen aus Solidarität mit islamischen Frauen das Kopftuch tragen. Das sei wie einst in Dänemark, als sich Nichtjuden den Davidstern angeheftet hätten. (Was dort gar nicht passiert ist.)

Es wurde noch bizarrer: Ähnlich wie Jörg Haider bei – meist schlimmeren – Sprüchen legte Van der Bellen den Retourgang nur ungeschickt ein. Die Aussage sei eine ironische gewesen, hieß es da. Wie? Van der Bellen ist immer ironisch, darf er daher nun alles sagen? Dann rief Van der Bellen wie einst Thomas Klestil die „Krone“ zu sich. Doch nicht einmal die nahm sein Eingeständnis („Es war ein Fehler, wenn man so will“) ernst, sondern verhöhnte ihn in einem Bildtext.

Und noch ein ernster Kritikpunkt: Van der Bellen reiste nach Italien, um dort im Gegensatz zu Regierungsmitgliedern die Schließung der Mittelmeer-Flüchtlingsroute abzulehnen und sich Applaus abzuholen. Kleiner Hinweis: Als Präsident wirbt man im Ausland für Österreich und hält den Ball flach. Sollte sich der Eindruck verfestigen, Van der Bellen spiele (aus Dankbarkeit?) im Team Christian Kern den Linksaußen-Verteidiger mit dem Auftrag, Gegenstürmer Sebastian Kurz zu Fall zu bringen, wäre das eine krasse Fehlinterpretation seines Amtes. Da reicht es dann nicht, wenn Van der Bellen lustige Interviews gibt und originell seine Wahrheit sagt: „Ich will gar kein überparteilicher Präsident sein. Das wäre mir viel zu anstrengend.“

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2017)

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