Kosovo: Qual der Wahl für die serbische Minderheit

(c) EPA (Georgi Licovski)
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Trotz der Aufrufe zum Boykott wollen viele Kosovo-Serben an der Kommunalwahl am Sonntag teilnehmen. Mithilfe der Wahlen könnten die Kosovo-Serben Einfluss auf die Entwicklung ihrer Gemeinden nehmen.

GRACANICA. Mit unzähligen Wahlplakaten ist das Büro der „Serbischen Widerstandsbewegung“ im Zentrum der serbischen Kosovoenklave Gracanica tapeziert. Wortreich müht sich Parteichef Momcilo Trajkovic, jegliche Zweifel an seiner patriotischen Gesinnung zu zerstreuen. Eine Wahlbeteiligung sei das geringere Übel als ein Wahlboykott, versichert der 59-jährige Bürgermeisterkandidat.

„Wir erkennen die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an, aber akzeptieren die Situation – und versuchen, daraus für die Serben das Beste zu machen“, sagt der frühere Abgeordnete im serbischen Parlament. Der Politikveteran macht sich für die Teilnahme der Minderheit am bevorstehenden Urnengang stark: „Wir müssen alle Institutionen nutzen, um den Kosovo-Serben bei ihren Alltagsproblemen zu helfen – und sie dauerhaft hierzuhalten.“

Die erstmaligen Kommunalwahlen des überwiegend von Albanern bewohnten Kosovo am kommenden Sonntag teilen die Geister in der nur noch knapp 120.000 Seelen zählenden Serbengemeinschaft. Eine Beteiligung der Minderheit an dem Urnengang könne als indirekte Anerkennung des von Belgrad abgelehnten Staatenneulings ausgelegt werden, warnen nationalistische Kräfte unter den Kosovo-Serben.

Zum Wahlboykott werden die Kosovo-Serben aus dem Mutterland nicht nur von der serbisch-orthodoxen Kirche aufgefordert. Serbiens Regierung wolle niemanden seines Wahlrechts berauben, beteuert in Belgrad Kosovo-Minister Goran Bogdanovic. Doch die Wahlen entbehrten jeglicher völkerrechtlicher Grundlage: „Serben, die wählen gehen, müssen sich fragen lassen, ob sie damit unseren Kampf für den Erhalt unserer Souveränität unterstützen – oder untergraben.“

Exklaven ticken anders

Doch nur im fast ausschließlich serbisch besiedelten Norden des Kosovo, in dem rund ein Drittel der Minderheit lebt, stoßen die Belgrader Boykottaufrufe auf ungeteilten Beifall. In den serbischen Exklaven kandidieren hingegen 21 lokale Listenverbindungen.

Umfragen zufolge wollen 28 Prozent der Kosovo-Serben zu den Wahlen gehen – fast doppelt so viel wie bei den von Belgrad in Gracanica organisierten Kommunalwahlen im August. Sollten sich die Prognosen bestätigen, könnte die Legitimität der von Serbien finanzierten Parallelverwaltung in Kosovo weiter unter Druck geraten.

Die Serben im Norden hätten teilweise schon „seit 20 Jahren keine Albaner mehr gesehen“ und „keine realistische Einschätzung“ der Alltagsprobleme in den Exklaven, erklärt Nenad Racic, serbischer Sozialminister in der kosovarischen Regierung, die sich vertiefende Spaltung in den Reihen der Minderheit. Ihm mache es nichts aus, von manchen Landsleuten nun als „Verräter“ abgestempelt zu werden.

Mithilfe der Wahlen könnten die Kosovo-Serben Einfluss auf die Entwicklung ihrer Gemeinden nehmen. Die düsteren Drohungen von Wahlgegnern, die vor dem Verlust serbischer Rentenzahlungen warnen, hält der Minister für „abstrus“: „Wenn wir jetzt nicht wählen gehen, werden wir das in vier Jahren vielleicht nicht mehr tun können.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2009)

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