Autoindustrie kämpft um den Diesel

Autostadt Volkswagen AG Deutschland Germany Wolfsburg Niedersachsen Lower Saxony 28 04 2016 In
Autostadt Volkswagen AG Deutschland Germany Wolfsburg Niedersachsen Lower Saxony 28 04 2016 In(c) imago/IPON (imago stock&people)
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Die deutschen Umweltminister beharren auf der Umrüstung älterer Fahrzeuge und verlangen noch heuer eine Kostenrechnung. Den Konzernen droht eine Milliardenbelastung.

Frankfurt/Wien. In der europäischen Autoindustrie, vor allem in Deutschland, dem größten Automarkt Europas, herrscht Alarmstufe Rot. Die Politik hat die von Volkswagen mit dem Abgasskandal ausgelöste Debatte um die Schadstoffbelastung durch Dieselfahrzeuge dankbar aufgegriffen und denkt laut über Fahrverbote nach. London führt im Herbst eine zusätzliche Maut für Dieselfahrzeuge ein, Stuttgart hat ein Fahrverbot angekündigt, andere deutsche Städte wie Hamburg denken ebenfalls darüber nach.

Neue Studienergebnisse, wie etwa jene des deutschen Umweltbundesamts, wonach in 80 deutschen Städten die EU-Grenzwerte für die Stickoxidbelastung regelmäßig überschritten werden, verunsichern und beeinflussen die Konsumenten – immer mehr Autokäufer entscheiden sich gegen ein Dieselfahrzeug. Im April ist in Deutschland die Zahl der neu zugelassenen Diesel-Pkw um fast ein Fünftel gesunken. Dieser Trend dürfte anhalten: Laut einer Studie des Unternehmensberaters Roland Berger dürfte der Dieselanteil bei Ober- und Mittelklasseautos in Europa bis 2030 auf ein Drittel, bei Kleinwagen sogar gegen null sinken.

Die Industrie, die bisher jeden zweiten Neuwagen mit einem Dieselmotor verkauft hat, fürchtet nicht nur um schon getätigte Milliardeninvestitionen und Zigtausende Arbeitsplätze in den eigenen Werken und bei Zulieferern. Allein bei Bosch, dem weltgrößten Autozulieferer, hängen in Deutschland 15.000 Jobs vom Diesel ab.

Wer zahlt die Umrüstung?

Den Autoproduzenten drohen weitere Milliardenbelastungen durch die geforderte Umrüstung älterer Wagen. Denn Bundesumweltministerin Barbara Hendricks ist der Meinung, dass dies die Autoindustrie zahlen soll. Die sträubt sich naturgemäß. Konkret geht es um den Umbau von Motoren der Norm Euro-5 auf den modernen Standard Euro-6. Noch gibt es nur Schätzungen: Baden-Württembergs Umweltminister, Winfried Hermann, spricht von 1000 bis 3000 Euro pro Fahrzeug, womit die Nachrüstung aller Euro-5-Autos rund zehn Mrd. Euro kosten würde.

Die Umweltministerkonferenz der deutschen Länder hat nun am Freitag beschlossen, dass noch heuer die Kosten für den Umbau sowie die entsprechende Schadstoffminderung genau ermittelt werden. Denn eines ist fix: Die Minister beharren auf der Nachrüstung. Auf der Grundlage der Kostenrechnung müsse zügig ein wirtschaftlich vertretbares Nachrüstprogramm festgelegt werden.

Was den Landespolitikern freilich auch wichtig ist: Die Bundesregierung und die Konzerne müssten sich auch darüber verständigen, wie die Verbraucher von den Kosten entlastet werden. Dazu soll auch die Schaffung eines Ausgleichs- und Entschädigungsfonds geprüft werden, heißt es in dem Beschluss.

Die Autoindustrie will im Kampf um die Gunst der Kunden jetzt Gas geben. „Natürlich ist klar, dass die Autoindustrie an Glaubwürdigkeit verloren hat und wir uns bemühen müssen, sie zurückzugewinnen“, sagt Bosch-Chef Volkmar Denner. „Wir müssen die Dieseldiskussion auf eine technische und nicht auf eine emotionale Diskussion zurückführen, die zum Teil mit den Fakten fahrlässig spielt“, ergänzt Rolf Bulander, Chef der Autosparte bei Bosch.

VW-Boss Matthias Müller schwebt eine Kampagne für den Diesel vor, wie er kürzlich erklärt hat. „Die Kunden lieben den Diesel, er ist aus Europa nicht mehr wegzudenken“, meinte auch kürzlich VW-Markenchef Herbert Diess. „Wir stehen zum Diesel.“ Und: Für Fahrverbote gebe es mit neuen Modellen keinen Grund mehr.

Was er freilich nicht dazugesagt hat: Über allen Bemühungen um eine sachliche Lösung des Problems hängen wie ein Damoklesschwert die Messergebnisse des Umweltbundesamts (UBA). Auch moderne Dieselmotoren der Norm Euro-6 stoßen auf der Straße viel mehr Stickoxid aus, als erlaubt ist und auf dem Prüfstand gemessen wird. Der Laborgrenzwert liegt bei 80 Milligramm pro Kilometer, im Alltag sind es 507 – mehr als sechsmal so viel.

Briten prüfen Abwrackprämie

Bisher sind diese Abweichungen nicht verboten, es reicht, wenn ein Auto unter den ganz besonderen Laborbedingungen die gültigen Grenzwerte erreicht.

Der Verband der Autoindustrie verweist nun darauf, dass mit dem neuen Prüfverfahren auf der Straße (Real Drive Emissions, RDE) diese „technisch unvermeidliche Lücke“ verkleinert werden soll. Nur: Die saubereren Dieselwagen kommen erst ab 2019, dann darf der Grenzwert nur noch um das Doppelte übertroffen werden, zwei Jahre später um das Anderthalbfache. Die Käufer werden sich unterdessen weiter vom Diesel abwenden – davon sind Experten wie Peter Fuß von der Unternehmensberatung EY überzeugt.

Vielleicht findet ja just Großbritannien einen anderen Ausweg aus der Klemme: Die Regierung zieht eine Abwrackprämie für ältere, schmutzige Autos – egal, ob Diesel- oder Benzinmotor – in Betracht. (eid/ag)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2017)

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