Macron hatte viel Glück und versucht geschickt, es allen recht zu machen. Für die Reformen, die Frankreich braucht, muss er aber mehr Farbe bekennen.
Chapeau, Monsieur le Président! Das muss man als Wahlsieger in Frankreich erst einmal schaffen: den einhelligen Jubel von liberalen Ökonomen wie von linken Politikern aus ganz Europa auszulösen. Vor einem Jahr hätte Emmanuel Macron fast niemand den Durchmarsch in den Élysée zugetraut. Seit Sonntagabend ist der 39-Jährige ohne Hausmacht nicht nur der jüngste demokratisch gewählte Staatschef der Welt, sondern zumindest außerhalb Frankreichs auch ein richtiger Hoffnungsträger.
Sicher: Der Senkrechtstarter hat bisher fast unglaubliches Glück gehabt. Die Sozialisten räumten sich selbst aus seinem Weg, als sie in den Vorwahlen auf ihren Linksaußen Hamon setzen. Der rechte Favorit Fillon tat es ihnen gleich, mit der Scheinbeschäftigung seiner Ehefrau. Aber nur Macrons Wähler der ersten Runde, rund ein Viertel der Franzosen, teilen die Richtung seines Elans. Nur sie sind kulturell offen, wirtschaftlich reformfreudig, setzen auf Europa und sehen die Globalisierung nicht als Bedrohung, sondern als Chance. Die Übrigen, die ihm erst in der zweiten Runde zum Sieg verhalfen, wollten vor allem die Rechtsextreme Marine Le Pen an der Macht verhindern.
Aber hat der Senkrechtstarter wirklich nur Glück gehabt? Auch das muss man erst einmal schaffen: ein lauwarmes Programm der politischen Mitte, das es allen recht machen will, als Neuanfang zu verkaufen. Seht her, lautet die Botschaft, da ist einer, der die Gräben überbrückt, den Klassenkampf befriedet, über allen Lagern steht und Frankreich zugleich auf die wirtschaftliche Überholspur zurückbringt.
Ob das gelingen kann? Dazu lohnt ein Blick auf die Pläne. Der stärkste Eckpfeiler ist ein neuer Anlauf beim Arbeitsrecht. Die erste Reform haben Dauerproteste so weich gespült, dass sie kaum greift. Hier bleibt Macron konsequent: Um den Kündigungsschutz zu lockern und so Einstellungen für Unternehmen weniger riskant zu machen, will er notfalls am Parlament vorbei per Dekret agieren. Schwächer ist seine Position bei der 35-Stunden-Woche, einem Klotz am Bein für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes: Über das Arbeitspensum soll künftig auf Firmenebene entschieden werden. Damit dürften die 35 Stunden in jenen Branchen fallen, in denen sie wirklich Jobs kosten – vielleicht der einzige Weg, die heilige Kuh zu schlachten, ohne wieder Hunderttausende auf die Straßen zu treiben. Wenig hat der Heilsbringer bei den Pensionen zu bieten: Antrittsalter und Höhe bleiben sakrosankt, was die Franzosen sich wegen ihrer konstant hohen Geburtenraten noch ein paar Jahre leisten können. Den Unternehmern versprach der Kandidat weniger Gewinnsteuern, schlecht qualifizierten Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen ein Ausbildungspaket. In der Verwaltung will er bis zum Ende seiner Amtszeit 60Milliarden einsparen und damit die drückend hohe Staatsquote etwas senken, von 57 auf 54 Prozent.
Die Defizitgrenze soll ab sofort tatsächlich gelten, um das Vertrauen der Deutschen wiederzugewinnen. Den Nachbarn, deren Erfolg viele Franzosen misstrauisch beäugen, wirft Macron sich an die Brust – nicht, ohne zugleich Eurobonds und gemeinsame Investitionen über Hunderte Milliarden zu fordern. Dass er sich damit in Berlin die Zähne ausbeißt, weiß der besonnene Manager des Machbaren. Aber es ist wohl seine nationale Pflicht, es versucht zu haben.
Reicht das, um Frankreich in jenen zweiten Motor zu verwandeln, den Europas Wirtschaft so dringend bräuchte? Kaum – schon wegen der wohl bald wieder steigenden Zinsen, die dann schwer auf den weiter viel zu hohen Staatsschulden lasten werden. Aber vielleicht hat Macron ja richtig dosiert. Vielleicht hat er den Franzosen genau so viel abverlangt, wie sie vorerst verdauen konnten – ein Volk, das sich nostalgisch zur Nachkriegszeit zurückwendet und das von jedem Präsidenten verlangt, er möge es vor der Unbill des Wettbewerbs im Welthandel bewahren. Der Wandel in den Köpfen braucht Zeit, aber er ist „en marche“. Dass Macron damit weiterhin Glück hat und sein Ziel nach fünf Jahren erreicht, ist eine riskante Wette. Aber wir können sie ruhig wagen – und, statt immer nur auf Skepsis, eine Runde lang auf Hoffnung setzen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2017)