Späte Gerechtigkeit für TTIP-Gegner

Die Gegner des Pakts mit den USA sammelten mehr als drei Mio. Unterschriften.
Die Gegner des Pakts mit den USA sammelten mehr als drei Mio. Unterschriften.(c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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EuGH urteilt gegen die EU-Kommission: Die Brüsseler Behörde hat eine europaweite Bürgerinitiative gegen Verhandlungen mit Washington rechtswidrig blockiert.

Luxemburg/Wien. Das Urteil kommt zu spät, ist aber nichtsdestotrotz eine Genugtuung für die Kläger: Am gestrigen Mittwoch kam der Europäische Gerichtshof zum Schluss, dass die länderübergreifende Initiative „Stop TTIP“, die sich gegen die Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und Kanada (Ceta) richtete, von der EU-Kommission rechtswidrig ins Abseits manövriert wurde. Der Entscheid der Luxemburger Höchstrichter (Rechtssache T-754/14) wird in der Sache kaum Konsequenzen haben, denn der Handelspakt mit den USA gilt in Ermangelung politischen Interesses beiderseits des Atlantiks ohnehin als klinisch tot. Doch er wirft ein schlechtes Licht auf die Praxis der Brüsseler Behörde, unliebsame Initiativen mit Verfahrenstricks zu neutralisieren.

Im Mittelpunkt des Rechtsstreits steht das fünf Jahre junge Instrument der Europäischen Bürgerinitiative, das ihren Initiatoren ermöglicht, Gesetzesvorschläge auf EU-Ebene anzuregen, sofern mindestens eine Million EU-Bürger in mindestens einem Viertel der Mitgliedsstaaten dafür plädiert. Das Ziel von „Stop TTIP“, einem Zusammenschluss von rund 300 europäischen Nichtregierungsorganisationen, war der Abbruch der Verhandlungen mit den USA und Kanada. Zu diesem Zweck sammelte die Aktionsgemeinschaft schlussendlich 3,2 Millionen Unterschriften – die erste Million wurde Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an dessen Geburtstag im Dezember 2014 überreicht.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Handelsaktivisten bereits schachmatt gesetzt: Acht Wochen vor der ersten Unterschriftenübergabe hatte die Brüsseler Behörde erklärt, dass die Bedingungen für die Zulassung einer Europäischen Bürgerinitiative von „Stop TTIP“ nicht erfüllt würden, weil die beiden Handelsabkommen zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht ratifiziert worden seien. Demnach sei es erst nach dem Inkrafttreten von TTIP und Ceta möglich, eine Gegeninitiative zu lancieren.

Einspruch aus Luxemburg

Die Luxemburger Höchstrichter halten diese Begründung für verfehlt. Der Grundsatz der Demokratie mache es erforderlich, die Europäischen Bürgerinitiative so flexibel zu halten, dass sie auch Maßnahmen der Kommission umfasst, die „den Beschluss zur Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss eines internationalen Abkommens (wie TTIP und Ceta) mit einschließt“, heißt es in der Urteilsbegründung – und nicht nur die tatsächlich beschlossenen und ratifizierten Handelsabkommen betreffen darf, wie die Brüsseler Behörde argumentiert.

Bei Maßnahmen der Kommission mit weitreichenden rechtlichen Konsequenzen sollen die EU-Bürger demnach möglichst frühzeitig die Gelegenheit zur Mitsprache erhalten – und nicht möglichst spät bzw. gar nicht, wie von der Brüsseler Behörde bevorzugt. „Das mit der Europäischen Bürgerinitiative verfolgte Ziel besteht nämlich darin, den Unionsbürgern zu ermöglichen, ihre Mitwirkung am demokratischen Leben in der Union zu verstärken, und zwar u. a. dadurch, dass sie der Kommission detailliert die durch die Bürgerinitiative aufgeworfenen Fragen darlegen und die Kommission auffordern, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union zu unterbreiten (...) ohne den Erlass des Rechtsakts abwarten zu müssen, dessen Änderung oder Aufgabe letztlich angestrebt wird.“

Dass die Kommission das Instrument der Bürgerinitiative nicht schätzt, belegt auch ein vor wenigen Wochen vorgestellter Bericht der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik: Demnach hat noch keine einzige der 65 bisher eingebrachten Bürgerinitiativen eine Gesetzesänderung bewirkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2017)

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