Biennale Venedig: Basar der unerfüllten Hippie-Träume

Einer der wenigen weniger positiven Ansätze: Schlüsselszene eines dystopischen Miniaturpanoramabildes von Liliana Porter.
Einer der wenigen weniger positiven Ansätze: Schlüsselszene eines dystopischen Miniaturpanoramabildes von Liliana Porter.(c) imago/Manfred Segerer
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Die von Christine Macel kuratierte Hauptausstellung will Kunst als positive Kraft feiern – „Viva Arte Viva“ – und wirkt wie ein letztes Fest, das Zelebrieren der Bedeutungslosigkeit.

Wie ein Mantra hat Christine Macel (*1969), die heurige Kuratorin der großen Biennale-Venedig-Ausstellung (erst die dritte von 57 Ausgaben in weiblicher Hand), uns ihr Motto auf den Weg mitgegeben: „Viva Arte Viva“, die Kunst soll leben, sie lebe hoch, in etwa. Nachdem absehbar war, dass die heuer gleichzeitig stattfindende, neben der Biennale Venedig zweite Welt-Kunst-Megaschau, die Documenta, stark politisch Stellung nehmen wird, hat die Französin, Chefkuratorin des Pariser Pompidou sich für einen auf den ersten Blick irritierenden, fast trotzigen Happy-Pepi-Zugang entschieden.

Mit den aktuellen Krisen will sie sich weniger aufhalten als mit existenziellen humanistischen Fragen; die Künstler sollen im Mittelpunkt stehen, unbelästigt von einem moralischen, theoretischen Überbau. Was natürlich nie funktionieren kann, denn der pure Akt der Auswahl ist schon ausgeübte kuratorische Macht. So wurde diese 57. Biennale eine klare Ansage für eine traditionell weiblich konnotierte Kunst, eine Kunst, in der weiche, vergängliche Materialien dominieren – so viel Schnüre und Stoffe und Wolle hat man noch nie hier versammelt gesehen, auch noch nie so viele Künstlerinnen an neuralgischen Punkten, hin und wieder kommt einem sogar vor, das sei eine reine Frauenausstellung, obwohl das Geschlechtergleichgewicht statistisch gesehen praktisch ausgewogen ist.

West ist einziger Österreicher

Sogenannte Siegerkunst, die teuren (meist männlichen) Namen der großen Galerien, wird man hier also fast keine finden, von 120 Künstlern sind rund 100 noch nie bei der Biennale Venedig zu sehen gewesen. Eine Ausnahme ist gerade der einzige vertretene Österreicher, Franz West, der mit einer seiner zum kreativen Prokrastinieren geschaffenen Chaiselongues prominent im ersten der neun Kapitel („Trans-Pavillons“) vertreten ist, dem „Pavillon der Künstler und der Bücher“ im Zentralpavillon in den Giardini.

Ein sauteures Sofa. Gleich nebenan liegt der 2016 gestorbene Belgrader Konzeptkünstler Mladen Stilinović auf einem ganz anderen, ärmlichen Lager. Er wird uns hier als Macels Paradekünstler vorgeführt, mit seiner Fotoserie, bei der er sich selbst beim Schlafen zeigt. Der Schlaf des Künstlers gebiert hier Weltbewegendes anscheinend. Könnte aber auch als depressive Weltabkehr gedeutet werden. Woran man sich am Ende des Ausstellungsdurchlaufs durchaus erinnert fühlt. Die Sehnsucht so vieler Künstler, die Welt irgendwie positiv zu verändern, die Menschen mit ihren Mitteln zu berühren, ist hier so greifbar wie meist naiv: Seit Jahrzehnten versucht Anna Halpuin das mit einem gemeinschaftlichen „Planetentanz“ zu erreichen.

Der legendäre philippinische Bildhauer David Medalla sitzt uralt mit einer Kapitänsmütze hinter einer langen, aufgespannten Stoffbahn und starrt verständnislos auf die von Besuchern gereichten Zettel, die auf ein gemeinsames Banner aufgenäht werden sollen. Die fröhlich-bunten Holzwürfel gleich am Arsenale-Eingang, die der noch ältere pakistanische Avantgardekünstler Rasheed Araeen hier aufgestellt hat, damit die Besucher gemeinsam neue Strukturen bauen, bleiben unberührt.

Weiter hinten bittet Ernesto Neto mit seinem brasilianischen Huni-Kuin-Stamm zu schamanistischen Ritualen. Im Zentralpavillon kommt in Ólafur Elíasson' lebhaftem Flüchtlingsworkshop, wo man bei der Produktion seiner Green-Light-Lampen zuschauen kann, Welcome-Stimmung auf, beides Projekte, die Francesca Habsburg mit ihrer Kunststiftung unterstützt, die jetzt wiederum die Meere retten will.

Man kann nur sentimental werden. Das ist alles total lieb von den Künstlern. Und es ist auch sympathischer, als wenn alle nur abstrakt malen oder wie Damien Hirst gerade in Venedig den Kunstmarkt mit zynischen Showskulpturen überschwemmen würden. Aber welche dieser alternativen Strategien hat Kunst und Menschen wirklich verändert? Was unterscheidet einen „Planetentanz“ von Dutzenden Therapieansätzen? Was Elíasson' Flüchtlingsworkshop von NGO-Engagement? Was Netos Museumswelttour mit den Huni Kuin von exotischem Zirkus?

Esoterik wird uns nicht helfen

Wenn das die Speerspitze dessen ist, womit zeitgenössische Kunst die Menschen „besser“ machen, aus der Krise herausreißen möchte, dann habe aber Dank. Das ist wie ein trauriger Basar unglaubwürdig gewordener Träume. Das ist die pure Hippie-Nostalgie. Auch in den Materialien, in dem vielen Papier, in der Keramik, in dem Stoff. Eine große Papiermachéschildkröte steht da etwa mit Keramikeiern im Rücken. Ein Apple-Mac-Book wurde an einem Wetzstein zur Axtschneide scharf gemacht. Das Internet als Bedrohung. Lieber tanzen und nähen und wohlig die bunten Wollknäuel von Sheila Hicks befühlen als surfen und chatten und leaken? Das wird uns nicht mehr rausreißen, so sehr man den Wunsch nach Schlaf, Verlangsamung, gemeinsamem Erleben auch verstehen kann.

Es lebe die Malerei!

Zum Schluss aber doch noch ein „Viva“! Es gibt bei Macel nämlich etwas, was man in den Länderpavillons rundum fast nicht findet: Zeichnung und Malerei. Im Kapitel „Freuden und Ängste“ im Zentralpavillon ist sie konzentriert versammelt: die emotionalen Frauenbilder auf Glas und geknittertem Papier von einer Kiki Smith etwa. Oder die junge in Hongkong geborene Firenze Lai mit ihren munchesken, symbolistisch-dunklen Szenen. Oder der fast noch klassisch moderne deutsch-syrische Maler Marwan (1934–2016), dessen Entwicklung zu immer abstrakteren, verzerrteren Gesichtern ein ganzer Saal gewidmet ist. Gemeinsame Bildbetrachtung sollte vielleicht nicht unterschätzt werden. Wer will da schon basteln?

„Viva Arte Viva“, bis 26. November. Mehr Berichte und Bilder zur Biennale Venedig im neuen „Presse“-Blog „Irgendwas mit Kunst“ unter diepresse.com/kunstblog.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2017)

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