Shiller: "Die Psychologie der Blase ist wieder da"

Robert Shiller, der neue Star unter den US-Ökonomen, tritt heute in Wien auf. Mit der "Presse" sprach er über die irrationale Gier in Blasenphasen und die Irrtümer seiner Zunft.

„Die Presse“: Sie haben im Frühling getrommelt, dass nur viel größere Konjunkturpakete das Vertrauen wiederherstellen könnten. Sonst würden zehn Jahre Krise drohen. Jetzt ist die Erholung da, ohne größeren Stimulus, aber wir haben Schuldenberge und Inflationsängste. War ihre Einschätzung falsch?

Robert Shiller: Ich bin überrascht, wie rasch sich die Wirtschaft erholt. Besonders dramatisch ist der Boom an allen Börsen und am Häusermarkt in den USA und in Großbritannien. Da steckt viel Spekulation drin, da flammen schon wieder „Animal Spirits“ auf. Ob das so weitergeht? Wir haben immer noch zehn Prozent Arbeitslose. Ich bin besorgt, dass die Anzeichen einer Erholung im Sand verlaufen. Wahrscheinlich haben wir zu früh Sieg gerufen.

Sie bleiben also pessimistisch?

Shiller: Es sieht besser aus als vor acht Monaten. Trotzdem könnte ein noch größeres Konjunkturpaket nötig werden. Aber viele Ökonomen halten die Programme für falsch. Es könnte uns wie in der Spätphase der Großen Depression ergehen, als die Wirtschaft nicht ansprang und die Menschen glaubten, die Programme hätten versagt. In einer solchen Stimmung sind neue Impulse unmöglich, auch wenn wir sie brauchen.

Damit sind wir bei Ihren „Storys“, die über den Lauf der Dinge entscheiden – wie ein Mythos, der über uns hereinbricht. Aber Storys werden doch auch erzählt, von Politikern und Bestsellerautoren. Man kann erzählen, dass nur ein Megakonjunkturpaket Hilfe bringt oder dass Schuldenpolitik nur zu höheren Steuern und Inflation führt – zwei widersprüchliche Geschichten.

Shiller: Wir wollen ja nicht, dass die Regierung Märchen erzählt. Storys tauchen von selbst auf. Ihre Beispiele sind zu abstrakt, es geht um den „Human Interest“. Denken Sie an reiche Banker, die wieder riesige Boni kassieren. Das macht schnell die Runde – auch weil die Menschen wütend sind. Und es sät die Idee, dass es wieder aufwärts geht. Ähnlich war es mit den Internetfirmengründern Ende der Neunziger. Dank ihnen sahen wir unsere Zukunft anders – und so entstand eine Psychologie der Blase. Einzelne können den Gang der Dinge kaum ändern. Dazu muss man sehr charismatisch sein. Obama kann das vielleicht.

Die aktuelle Story aber ist doch, dass es langsam aufwärts geht. Wenn es dabei bleibt: Was ist dann die aktuelle Aufgabe der Politik?

Shiller: Wie leben in einer künstlichen Wirtschaft, geprägt von Hilfspaketen und Rettungsschirmen. Wie machen wir die Leute glauben, dass wir zu einer normalen, wettbewerbsfähigen Ökonomie zurückkehren? Indem wir die Finanzwelt demokratisieren und so Krisen langfristig vermeiden.

Sie schlagen vor, der Staat solle eine unabhängige Finanzberatung für Private fördern und eine Versicherung für private Veranlagungen gründen. Greift man Ihre Ideen auf?

Shiller: Man kann das mit der Gesundheitsreform vergleichen. Dort geht es darum, dass jeder medizinischen Rat bekommt. Wenn das durch ist, reden wir hoffentlich darüber, dass alle Menschen auch professionelle Finanzberatung brauchen.

Sie predigen, die Banken sollten die Realwirtschaft unterstützen, statt auf Profite ohne Basis zu setzen. Andererseits sind Sie für Derivate und „Finanzinnovationen“. Wie passt das zusammen?

Shiller: Wir müssen sehen, dass Menschen fehleranfällig sind, dass es psychologische Barrieren gibt. Zugleich müssen wir aber auch die Kraft der Finanzindustrie anerkennen. Sie menschlicher zu gestalten heißt nicht, dass wir sie kleiner oder weniger schlagkräftig machen. Länder mit großen Finanzmärkten sind aus guten Gründen viel stärker gewachsen als andere.

Aber ungesund gewachsen, oder?

Shiller: Nur zum Teil. Klar, das Subprime-Wachstum basierte auf falschen Annahmen. Aber jetzt wird das Risikomanagement stark ausgebaut, die Finanztheorie wird besser angewendet. Für einen globalen Wirtschaftsraum von sieben Milliarden Menschen brauchen wir hoch entwickelte Finanzmärkte.

Die Ökonomen mit ihren mathematischen Gleichgewichtsmodellen wurden von der Krise überrascht. Sie aber erklären, wie auch Keynes, Konjunktur als psychologisches Massenphänomen. Ist die neoklassische Theorie in der Sackgasse? Oder kann man Psychologie integrieren?

Shiller: Ich liebe die Mathematik und habe nichts gegen quantitative Modelle. Aber man soll mit ihnen keine Spielchen treiben. Manche Kollegen machen vereinfachte Annahmen, um leichter rechnen zu können. Das führt oft schwer in die Irre. Aber es wäre sehr wohl möglich, Modelle verschiedener Disziplinen zu verbinden.

Warum machen das so wenige?

Shiller: Die Sozialwissenschaften sind zu aufgesplittert. Da gibt es Psychologen, dort Soziologen, und die Ökonomen sagen: Wir können nicht das gleiche tun wie die! Also werden die Methoden überstrapaziert. Meine Dissertanten wollen oft breiter arbeiten. Aber sie haben keine Möglichkeit, psychologisch oder soziologisch zu forschen. Also bleiben alle auf dem Boden, den sie immer beackern.


Sie kritisieren die klassische Theorie auch wegen ihrer „optimalen Sparquote“ – indem Sie aufzeigen, dass Amerikaner gar nicht sparen, Asiaten aber über die Hälfte ihres Einkommens. Gibt es regionale Unterschiede auch bei der Akzeptanz von ungleich verteilten Einkommen?

Shiller: Absolut, ich habe das auch empirisch erforscht. In den USA wird Reichtum akzeptiert, Reiche können damit protzen und werden deshalb nur selten angefeindet. Österreicher wollen wohl gar nicht richtig reich sein, weil ihnen das zu extrem erscheint. Es gibt ein optimales Maß an Ungleichheit, um zu Leistung zu motivieren und so das Wachstum zu fördern. Aber dieses Optimum ist kulturabhängig – in den USA liegt es viel höher als in Europa oder Japan.

ZUR PERSON

Robert Shiller untermauert in seinem Bestseller „Animal Spirits“ ein populäres Fazit zur Finanzkrise: In extremen Boom- und Krisenphasen handeln die Menschen irrational, die Märkte finden ohne Staatseingriffe nicht mehr zum Gleichgewicht zurück. Damit rückte der US-Ökonom an die Spitze der Neokeynesianer. Im März 2000, am Höhepunkt der Dotcomblase, sagte er einen Absturz voraus.

Heute Samstag hält Shiller auf Einladung des Kreisky-Forums einen Vortrag in der Nationalbank in Wien, der seit Wochen ausverkauft ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2009)

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