Von Babyeulen und der Greifvogelmafia

Veterinär Hans Frey, der Gründer und wissenschaftliche Leiter, beäugt von einem Bartgeier.
Veterinär Hans Frey, der Gründer und wissenschaftliche Leiter, beäugt von einem Bartgeier.(c) Claudia Schreiner
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Wo lahme Störche Kuckuckskinder aufziehen, Schildkröten zwischen Geiern leben, vom Geschäft mit bedrohten Arten, und warum man Vogelshows aus Tierschutzsicht meiden sollte. Ein Besuch in der Eulen- und Greifvogelstation Haringsee.

Die Hunderten Vögel hört man schon von draußen. Wenn man kurz unschlüssig ist, ob man hier richtig ist, in Haringsee, einem Ort, 20 Kilometer hinter Wien im Marchfeld, in den es einen sonst kaum verschlägt. Doch, „Eulen- und Greifvogelstation Haringsee“ steht am Tor, aber wenn man dieses öffnet, kommen einem erst einmal schwanzwedelnd ein paar Hunde entgegen. Sie leben hier mit Bartgeiern, jungen Uhus, die sich in der jüngsten Maikälte dicht aneinandergedrängt wärmen, mit verstümmelten Adlern, flügellahmen Störchen, mit 400 Schildkröten, die vor Jahren aus einer Wiener Wohnung geholt wurden, einem noch blinden kleinen Marder, der eben abgegeben wurde, oder den Habichtkäuzen, die die Besucher mit strengen Blicken verfolgen.

In Summe, sagt Hans Frey, werden es aktuell wohl an die 600 Vögel sein, die in der 12.000-m?-Auffangstation leben. Frey, Veterinärmediziner, ist in den Siebzigern durch Zufall aus Wien nach Haringsee gekommen. Ein Ort, prädestiniert für ihn, schließlich hatte er, wie er erzählt, schon als Kind eine ausgeprägte Liebe zu Tieren, hielt im Wiener Garten Frettchen oder Uhus. Nachdem er ins Marchfeld gezogen war, entstand die Wildtierstation erst als Notlösung: Frey, damals an der Uni für Veterinärmedizin, hatte dort wenige Möglichkeiten, tierische Patienten unterzubringen. Also baute er erste Volieren. Mit Unterstützung von Tier- und Artenschutzorganisationen ist die Station über die Jahre gewachsen, im Vorjahr wurde die Tierschutzsparte von Vier Pfoten übernommen. Allein 2016 wurden hier 1630 Tiere betreut – und gerade jetzt, im Mai und Juni, „bekommen wir Unmengen an Jungtieren“.


Vögel, die sich auf Kuckuckseier freuen.Wird etwa in Wien ein junger Turmfalke auf einem Gehsteig gefunden, weil er etwa beim Raufen ums Futter aus dem Nest gefallen ist, wird der nach Haringsee gebracht. Dabei arbeitet die Station mit diversen Stellen, auch der Vet-Med-Uni eng zusammen. In Haringsee wird das Jungtier einem Ammenpaar quasi untergejubelt. Als Ammeneltern setzt Frey die „Dauerpatienten“ ein, also Tiere, die nicht mehr fliegen oder aus anderen Gründen nicht mehr ausgewildert werden können. Vögel bei fremden Tieren zur Aufzucht unterzubringen sei kein Problem. Manchen Ammenpaaren, die seit Jahren in der Station leben, merke man die Aufregung und Freude an, wenn er mit der Box mit einem neuen Kuckuckskind komme, sagt Frey.

Die Ammenaufzucht durch Tiere der gleichen Art sei „europaweit einzigartig“, besonders bei Tieren wie dem Bartgeier, dem größten und auch einem der seltensten Greifvögel Europas, auf den sich Frey und sein Team spezialisiert haben. Die Ammenaufzucht sei die beste Möglichkeit, verwaiste Tiere so aufzuziehen, dass man sie später auswildern kann. Ist das nicht möglich, werden die Vögel mit minimalem Kontakt zu Menschen aufgezogen. Andernfalls, bei zu engem Kontakt, werden diese Tiere auf Menschen geprägt – sehen Menschen als ihre Art an und wollen sich mit diesen verpartnern. Zum Beispiel mit Frey. Er erzählt von einem Bartgeier – man nannte ihn, weil er sich so gern präsentierte, den Präsidenten – warb regelrecht um ihn, indem er ihn etwa an den Brauen zupfte.

Gefährliche Liebe zum Menschen. Was nett klingt, ist aber gefährlich. Ist so ein Tier erst ausgewachsen, geht es auf vermeintliche Konkurrenten (also andere Menschen) los. Das kann bei Geiern oder Adlern für Menschen lebensgefährlich sein, entsprechende Zwischenfälle gab schon bei Greifvogelshows. Die sieht der Artenschützer überhaupt äußerst kritisch. Es gebe, sagt er, im Grunde keine artgerechte Möglichkeit, solche Shows zu veranstalten. „Man muss einen Wildvogel hungern lassen, um ihn zu zwingen, auf die Faust zu kommen, in der Futter versteckt ist. Beziehungsweise funktioniert das durch Fehlprägung auf Menschen: Der Vogel sieht den Falkner als Brutpartner. Diese Vögel haben aber ein ausgeprägtes Territorialverhalten, jeder Mensch, der eine gewisse Grenze überschreitet, ist ein Konkurrent.“ Erwachsene Adler etwa seien damit als Showvögel zu gefährlich, auch können sie bei Fehlprägung nicht mehr ausgewildert werden, weil sie attackieren würden. Das heiße Isolationshaft bis zum Lebensende, und Adler werden bis zu 40 Jahre alt. Damit brauchen die Shows ständig Nachschub an den Vögeln, die gerade modern sind: Aktuell stehen Schlangenadler oder Bartgeier hoch im Kurs, Bartgeier werden um rund 20.000 Euro gehandelt.

Das befeuert fast mafiöse Strukturen im Greifvogelhandel, wie Frey sagt: Er erzählt von Fällen von Eierdiebstahl aus Bartgeiernestern in der Türkei oder auf dem Balkan. Diese Eier werden dann nach Mitteleuropa geschmuggelt, an Züchter verkauft und den Behörden als Nachzucht gemeldet (Handel und Zucht mit geschützten Arten sind schließlich streng reglementiert). Frey erzählt von komplizierten Ermittlungen, illegalen Vögeln, Hunderten Tieren, die so geschmuggelt wurden, einer Greifvogelmafia, die damit Geschäfte machte – und auch in Österreich sind solche Tiere schon aufgetaucht. Durch diese illegalen Umtriebe geraten die bedrohten Arten weiter unter Druck. In Haringsee hat man jedenfalls eine seltene Gelegenheit, diese Tiere in artgerechter Haltung aus der Nähe zu sehen (siehe Infobox). Und man sieht dort nicht nur Jungvögel und Ammeneltern, Frey führt durch das Areal mit unzähligen Volieren, erzählt Geschichten: vom Steinadler etwa, den man nicht mehr freilassen kann, seit er von einem „völlig durchgeknallten“ Falkner darauf trainiert wurde, Hunde zu töten.

Ein anderer, ein Schlangenadler, wird demnächst ausgewildert. Er wurde im Winter in der Nähe von Salzburg in einem Swimmingpool gefunden, als er dort tagelang Frösche fraß, nachdem er offenbar den Zug über die Alpen nicht mehr geschafft hat. Oder ein Storch, der jedes Jahr zurückkommt, um mit seiner flugunfähigen Partnerin zu brüten. Der Fokus der Station liegt aber auf dem Auswildern der Tiere: Seit der Gründung wurden rund 6000 Turmfalken in die Freiheit entlassen.

Termine

Die nächsten Führungen mit freien Plätzen finden am 4. Juni, am 18. Juni und am 2. Juli 2017 jeweils um 14 Uhr statt. Bis Oktober gibt es regelmäßig Termine, von November bis März ist ein Besuch nur in Ausnahmen möglich.
Eine Voranmeldung unter ✆+43/ 2214/480 50 ist notwendig.
Info: www.eulen-greifvogelstation.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2017)

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