Wiener Festwochen: Wiedergeburt der Kunst als Topfen

 Regisseur Tianzhuo Chen spielt in seiner bizarren Performance „Ishvara“ gern mit vieldeutigen Zeichen und steinalten Mythen.
Regisseur Tianzhuo Chen spielt in seiner bizarren Performance „Ishvara“ gern mit vieldeutigen Zeichen und steinalten Mythen.(c) Zhuang Yan
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"Ishvara", die Eröffnungspremiere des jungen Künstlers Tianzhuo Chen, wirkt wie eine müde Rave-Party, bei der zu früh die Tabletten ausgegangen sind.

Wer am Samstag in der Halle E des Museumsquartiers glaubte, sich in eine Live-Schaltung nach Kiew verirrt zu haben, kann beruhigt werden: Nein, es handelte sich nicht um das Finale für einen Trostpreis beim Song Contest, sondern um die Eröffnungspremiere der Wiener Festwochen, die sich unter der neuen Intendanz Tomas Zierhofer-Kins laut Rumor im Vorfeld der Fête kaum um komplexe Musik und spannendes Theater kümmern will, sondern um jene, die glauben, dass sie jung geblieben sind – um die Generation Party, die sich zum Ausnüchtern Post-Sinniges von Agamben bis Žižek reinzieht.

Nein, so schlecht wie bei der Europa-Premiere von „Ishvara“ in Wien wurde in Kiew nicht gesungen. Aber die Szene fast am Ende dieser Zirkusshow in sieben Bildern, in der ein beleibter Chinese und ein zartes Mädchen in seinem Schoß einen englischen Popsong parodieren, ist essenziell. Sie singen unterirdisch, aber so beweisen sie (wie viele andere an diesem Abend), dass es die Wiedergeburt gibt: Kunst, wie sie einst Andy Warhol und seine Gang in The Factory betrieben, kehrt drei Generationen später als Topfen in Form eines multiplen Kunsthandwerks zu den Wiener Festwochen zurück.

Und wer in einem früheren Leben nicht brav war, muss sich diese zweieinhalb Stunden Techno-Kitsch und Ethno-Kult nicht nur anschauen, sondern auch noch darüber schreiben. Wie aber sind die Vorgänge auf der Bühne standesgemäß zu deuten? Sagen wir so: Hey, ihr Swagger! Tianzhuo Chen (*1985), der gefälligste unter Pekings jüngeren Pseudo-Rebellen, hat in der „Bhagavad Gītā“, dem philosophischen Höhepunkt des gewaltigen Sanskrit-Epos „Mahabharata“, gelesen, und auch sonst viel altes Zeugs aus Japan und China, das er in Bilder und Klänge ummodelte. Wahrlich, ich sage euch, der mächtige Titel „Ishvara“ deutet auf das Schwarze Loch Indiens hin. Nirvana ist fast überall, und hier riecht es verdächtig nach Teen-Spirit. Aber keine Sorge, wenn wir das Ding so richtig abtanzen, kommen wir am Ende wieder raus wie neu, wenn auch phänotypisch etwas verändert. Zumindest darf man dann wie zur Selbstbestätigung befreit behaupten: „Tat Tvam Asi“ – „Das bist du“.

Kahnfahrten und kopulierende Hunde

Bis zu dieser Erkenntnis muss man bei Chen jedoch ein paar Stadien durchmachen. Seine Performance beginnt mit einer Charade: Schiebetüren, auf denen große chinesische Lettern leuchteten, gehen auf. Links hinten sieht man einen riesigen Cartoon mit einer Hand, die einen abgetrennten Kopf am Zopf hält. In der Mitte ein kreuzförmiges, leuchtendes rotes Zeichen, an dem eine Figur hängt, rechts ein Gong, der häufig von einem Schlagzeuger kräftig malträtiert wird. Davor ein rudimentärer Steinkopf, aus dem Wasser in einen Pool plätschert. Weiter vorne Statuen tanzender Zwerge, ein Wesen mit rotem Sonnenschirm, eine Orgel samt technischer Anlage und ein japanisches Saiteninstrument. Das Repertoire reicht von monotonem Zupfen bis zu rasantem Beat, häufig wird es richtig laut. Manchmal blenden auch Lichtspielereien. Eine Rampe reicht weit ins Parkett. Dort produzieren sich Tänzer in bizarren Kostümen oder nackt.

Was wird gegeben? Schöpfungsmythen, der Lauf der Welt, Videos mit grauenhaften Kahnfahrten und kopulierenden Hunden. Sogar zwei Texte sind zu hören. Eine junge Frau erzählt auf Kantonesisch von Selbstmordgedanken und vom Mord am Ehemann, der dennoch wiederkehrt. So sind sie eben, die lästigen Götter Ostasiens. Manchmal balgen sie ausgelassen im Planschbecken, während eine Maid an einer Art Blumen-Marterpfahl orgiastisch bedrängt wird, dann wiederum sind sie bloß aufs Töten aus.

Eine der ungustiösen Szenen: Ein Mann ist gefesselt, um ihn schneiden Figuren mit ihren Messern Rippenstücke von einem Tierkadaver und werfen sie ins Publikum. Etwas kindlicher wirkt ein Exzess, der mit einer riesigen, blondgelockten Ballon-Puppe mit herzförmigem Mund betrieben wird. Sie bläht sich hoch. Ein Mann wäscht sie, beschmiert sie mit Blut, malt ihr eine Yoni auf, um das Plastik dann zu zerstückeln, Glieder, Nippel und Zunge abzuschneiden. Schließlich holt er ihr wurstförmige rote Ballons aus dem Leib. Ein Mädchen springt heraus.

Mit Lärm, Gesang, Tanz und bunten Bildern vergeht die Zeit. Ein letztes Mal öffnen sich die Schiebetüren. Man sieht die Charade vom Anfang. Oh großer Brahman, geht es denn schon wieder los? Nein, die Artisten tänzeln zum Schlussapplaus. Für jene, die den Song Contest versäumt haben: Portugal – 758 Punkte. China – 107 Punkte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2017)

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