Der ÖVP-Vorstand akzeptiert notgedrungen sämtliche Forderungen des neuen Obmanns. Jetzt läuft die Suche nach einem möglichst geordneten Ende der Koalition und einem Wahltermin im Herbst.
Es war offenkundig so abgestimmt, dass der neubestellte geschäftsführende ÖVP-Bundesparteiobmann sein erstes Statement genau rechtzeitig live in der „ZiB1“ abgeben kann: Nach dreistündiger Sitzung des ÖVP-Bundesparteivorstandes und nach einigen Verzögerungen konnte Sebastian Kurz am Muttertag kurz nach 19.30 Uhr die Entscheidung verkünden. Der 30jährige Außen- und Integrationsminister wurde vom Vorstand einstimmig zum neuen ÖVP-Chef bestellt. Gleichzeitig haben die schwarzen Vorstandsmitglieder alle sieben Bedingungen (siehe unten) von Kurz und somit eine weitreichende Vollmacht für ihn als Parteiobmann akzeptiert. Er wird damit der 17. ÖVP-Chef seit 1945.
Das Statement von Sebastian Kurz am Sonntagabend
Damit sind die Weichen nach dem Rücktritt von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner gestellt. Am Samstag hatte sich die Entscheidung um die ÖVP-Führung und das weitere Vorgehen mit einer Alles-oder-Nichts-Strategie von Kurz zugespitzt. Der Hoffnungsträger und die Zentralfigur im ÖVP-Machtpoker hatte seinen Sieben-Punkte-Forderungskatalog an die Parteigranden für die Übernahme der ÖVP-Obmannschaft via Medien deponiert („Die Presse am Sonntag“ berichtete). Dazu zählen das Antreten bei der Nationalratswahl als eigenständige Liste Kurz, Durchgriffsrecht und freie Hand bei der Personalauswahl bei Kandidatenliste, Ministerposten und Koalitionsverhandlungen.
► Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei: Bereits im Laufe des Sonntags zeichnete sich ab, dass die ÖVP-Vorstandsmitglieder ihren Sanktus zu den insgesamt sieben Bedingungen von Kurz geben würden. Davon hatte dieser sein Ja zum ÖVP-Chefposten abhängig gemacht. Letztlich gab es im ÖVP-Vorstand grünes Licht dafür, dass er mit der „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“ kandidieren kann. In dieser „Wahlbewegung“ soll auch für Vertreter anderer Organisationen und Parteifreie Platz sein.
► Zustimmung von Länderchefs und Bünden: Die Alles-oder-nichts-Strategie von Kurz, Obmann zu werden, ging rasch auf. Nach Rückendeckung der ÖVP-Landeschefs Hermann Schützenhöfer (Steiermark), Johanna Mikl-Leitner (Niederösterreich) und Günther Platter (Tirol) noch am Samstagabend erklärten am Sonntag weitere Obleute wie Markus Wallner (Vorarlberg) und Thomas Stelzer (Oberösterreich) ihre Zustimmung: „Wir wollen einen starken Obmann.“
Ähnlich das Bild bei den Bünden, den Teilorganisationen der ÖVP, die in der Vergangenheit den bisher 16 schwarzen Parteiobmännern seit 1945 ebenso wie die machtbewussten ÖVP-Landeshauptleute das politische Leben des Öfteren schwer gemacht haben. Vom Wirtschaftsbund über den Arbeitnehmerbund (ÖAAB) und dem Bauernbund bis hin zu Seniorenbund-Chefin Ingrid Korosec gelobten die Bündechefs Unterstützung für die Bedingungen von Kurz und die Kandidatur mit einer eigenen Wahlliste.
► Neuwahlpoker mit der SPÖ: Nach der ÖVP-Entscheidung geht es jetzt um die Frage: Wie wird der Weg zu vorgezogenen Nationalratswahlen freigemacht, und wann finden diese statt? Die ÖVP will Neuwahlen heuer im Herbst, aber gleichzeitig, wie Kurz betonte, bis zum Sommer weiterarbeiten. Über ein geordnetes Ende der rot-schwarzen Koalition wird heute, Montag, mit Bundeskanzler Christian Kern geredet. Der Grund: die ÖVP möchte in der Öffentlichkeit nicht als jene Partei dastehen, die vor dem Sommer mögliche Gesetzesbeschlüsse wegen einer früheren Wahl heuer im Herbst blockiert.
Kern wollte nach den Entscheidungen der ÖVP am Sonntag vorerst nicht Stellung nehmen. Der SPÖ-Chef wird aber weiter versuchen, mit wechselnden Mehrheiten im Parlament manche Vorhaben durchzubringen. Kern rechnet jedoch fix mit einer Neuwahl im Herbst. In Regierungskreisen wird als Termin dafür der 1. Oktober kolportiert.
Kurz' sieben Forderungen
1. Kurz forderte die Zustimmung der Partei, dass er mit einer eigenen Wahlliste antreten kann, die von der ÖVP unterstützt wird. Sie kann aber auch von anderen Personen unterstützt werden, die ebenfalls kandidieren können.
2. Auf sämtlichen Kandidatenlisten erfolgt die Reihung nach dem Reißverschlussprinzip, Männer und Frauen scheinen abwechselnd auf.
3. Der Parteiobmann erhält ein personelles Durchgriffsrecht, er erstellt alleinverantwortlich die Bundesliste und hat bei den Landeslisten ein Vetorecht.
4. Der Obmann bestellt den Generalsekretär und das Regierungsteam und benötigt dafür keinen Beschluss des Vorstandes mehr.
5. Der Parteichef hat freie Hand für die Verhandlung von Koalitionen.
6. Der Bundesobmann kann die inhaltliche Richtung der Partei vorgeben. Ihm „obliegt die inhaltliche Führung der Partei“.
7. Der Bundesparteivorstand beschließt schriftlich, all diese Forderungen durch eine Änderung der Statuten umzusetzen.