Vor dieser Kunst kann man ruhig knien

Die Collage-Serie „Skins“ von Ines Doujak basiert auf einem historischen Atlas für Hautkrankheiten.
Die Collage-Serie „Skins“ von Ines Doujak basiert auf einem historischen Atlas für Hautkrankheiten.(c) Doujak
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Eine poetische, groß angelegte Ausstellung mit vielen Auftragsarbeiten, verteilt auf zwei Orte, bringt Biennale-Zauber in die Wiener Kunstszene: „Das Rätsel der Imagination“, eine Hinterfragung des europäischen Kolonialismus.

Man kann sich überlegen, in welcher Rolle man Schaufel und Spitzhacke in die Hand nehmen möchte, mit welchem „Selbstverständnis“ man in die gelben Schutzoveralls schlüpfen will – als Sklave? Oder Imperialist? Im Untergeschoß des Leopold-Museums hat der türkische Künstler Ahmet Öğüt zehn Tonnen Kohle aufgeschüttet. Darin kann, wer will, nach seinem „Glück“ suchen. Denn irgendwo in dem Haufen ist ein Stück Museumsmauer versteckt. In der Lücke, die dieses hinterließ, ist wiederum ein Diamant versteckt, mehrere Tausend Euro wert, wie verraten wird.

Die Schatzsuche kann also beginnen. Das Museum, die abendländische Kunst, kann somit als auszubeutendes Kolonialisierungsgebiet gedeutet werden. Ist die Installation doch der Auftakt zur heurigen Festwochen-Ausstellung, einer Ausstellung, die auch den Auftakt zur Intendanz von Thomas Zierhofer-Kien bildet, was darauf hoffen lässt, dass die Zeit der großen, originären, thesenhaften Festwochen-Ausstellungen zurückkehrt. Wiens institutionalisierte Kunstszene hat derlei dringend nötig, der Stadt fehlt eindeutig ein bisschen Biennale-Feeling, also Einmaligkeit und Internationalität.

Diesen Spirit zu erzeugen ist dem in Berlin lebenden kamerunischen Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung (*1977) gemeinsam mit seiner Ko-Kuratorin Pauline Doutreluingne gelungen; die meisten der insgesamt 16 großen Installationen bzw. Filmarbeiten, die er zur Problematik des europäischen Kolonialismus im Leopold-Museum und den ehemaligen Gösser-Hallen hinter dem Bahnhof („Performeum“) versammelt, wurden eigens angefertigt. Mit Ausnahme der Kohle-Schlacht am Beginn. Aber sonst, bis auf den zwar sehr geheimnisvoll klingenden, vor allem jedoch insiderischen englischen Titel – „The Conundrum of Imagination“, in etwa „Das Rätsel der Einbildung“ –, gibt es fast nichts zu meckern. Man wird nicht ideologisch vergewaltigt hier, die meisten Arbeiten sind nicht eindeutig, nicht schwarz-weiß lesbar, sondern dichte poetische Hinterfragungen der „drei Gs“, die den Imperialismus befeuerten: God, Gold und Glory.

Es reicht, mit oft nur geringen Eingriffen die Blickachse zu verschieben, ganz der Frage des afroamerikanischen Dichters James Baldwin folgend, die Ndikung wie ein Motto ausgibt: „Was wäre gewesen, wenn Kolumbus von dem entdeckt worden wäre, was er gefunden hat?“ So lässt der nigerianische Künstler Abraham Onoriode Oghobase in einer malerischen Druckserie den Eindruck entstehen, als habe Österreich Nigeria kolonialisiert. In Fotos des (von den Briten begonnenen) nigerianischen Zinnabbaus montiert er barocke österreichische Heiligenfiguren und lässt den eingeschleppten Karpfen das Ökosystem durcheinanderbringen. Eine der zwei ästhetisch herausragendsten Arbeiten stammt von John Akomfrah, dem Grandseigneur des schwarzen Films in England. Er zeigt seinen neuen Film „Tropiks“, in dem er das opulente englische Kostümfilm-Klischee mit Figuren und Szenen des Sklavenhandels irritiert. So sitzt eine blasse Mary-Stuart-Lady am Tisch plötzlich neben einem Afrikaner, den sie scheu beäugt etc.

Die zweite herausragende Arbeit stammt von der Österreicherin Ines Doujak, die wunderschöne Stillleben collagiert hat, farbenprächtigst auf schwarzem Grund: Die Serie „Skins“ besteht aus Ausschnitten von historischen botanischen Schultafeln und Atlassen zu Hautkrankheiten. Die von den Europäern in die unterschiedlichen Kolonien, absichtlich oder nicht, eingeschleppten Seuchen haben mehr Todesopfer gefordert als jegliche mechanische Mordmethoden. Das Fremde geht dem Fremden unter die Haut, bricht es auf, es entstehen Wunden, die als Öffnungen zwischen innen und außen gelesen werden können, meint Doujak. Wundmale also, womit wir bei „God“ wären. Vor allem lebt die Serie aber vom Gegensatz zwischen Schönheit und Ekel, und das bringt schon einmal genug Spannung zwischen die Gehirnzellen.

Die Palme des Grauens

Rührt sich angesichts von Artefakten in den ehemaligen „Völkerkundemuseen“ dieser Welt, angesichts von historischen Atlassen, die den „Zauber“ der großen Entdecker von Kolumbus bis Magellan zwischen ihren Seiten tragen, nicht immer noch der Hollywood-Reflex, das, was Kurator Ndikung meint, wenn er behauptet, dass der europäische Kolonialismus immer noch vor allem als Erfolgsgeschichte gefeiert wird? „Ohne die anderen Konsequenzen zu reflektieren, die eben über die aus europäischer Sicht bzw. aus der Sicht der Achse der Macht evidenten Vorteile hinausreichen.“

Eine Palme zum Beispiel. Dekorativ, exotisch, eskapistisch, aus europäischer Sicht, etwa als „Kunst am Bau“-Skulptur vor der Bundesnachrichtenzentrale in Berlin. Die in Berlin lebende portugiesische Filmemacherin Filipa Cesar verfolgte dieses ihr zweifelhaft erscheinende Symbol bis in die ehemalige deutsche Kolonie Guinea-Bissau, in die Ruinen einer ehemals deutschen Palmölfabrik, in der auch Waffen erzeugt wurden.

Ist der Hauptteil der Ausstellung zwar im Leopold-Museum zu finden – das noch nicht eröffnete Weltmuseum wäre inhaltlich spannender gewesen –, sollte man dennoch den Gang hinter den Zentralbahnhof in die ehemaligen Gösser-Hallen nicht scheuen. Die Ortsentdeckung allein, hinter einer Tankstelle, birgt schon fast ein Kolumbus-Erlebnis. Darin dann vier große, sehr atmosphärische Installationen, vor allem das bodenfüllende Archiv des kolonialistischen Widerstands, das die junge südafrikanische Künstlerin Dineo Seshee Bopape hier ausgebreitet hat, mit vielen Erdklümpchen, Blattgold und Brandschrift in Brettchen. Hier sind sie zu lesen, die Geschichten, die wie Märchen klingen, von drei Stammeskönigen etwa, die auszogen, die Herrschaft zu beenden. Am Ende waren sie tot. Man muss niederknien, um alles lesen zu können. Schadet keinem.

The Conundrum of Imagination, bis 18. Juni, Leopold-Museum und Performeum in der Laxenburger Straße 2.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2017)

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