Frauenmangel. Nur vier von 27 Kandidaten für die neue Kommission sind Frauen, minimale Chancen für Politikerinnen auf EU-Topjobs. Erstmals steht die Drohung eines Vetos im Raum.
Brüssel. Da waren es vier: Am Dienstag gab Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt bekannt, so wie Bulgarien, Luxemburg und Zypern eine Frau für das neue Kollegium der Europäischen Kommission vorzuschlagen.
Spanien hingegen wird keine Frau in die Kommission entsenden. Ministerpräsident José Luis Zapatero präsentierte am Dienstag seinen Außenminister Miguel Angel Moratinos als Kandidaten für den neuen Posten des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik. Dieser wird auch Vizepräsident der Kommission sein.
„Katastrophale Situation“
Vier von 27: Angesichts dessen, dass jeder zweite Europäer weiblich ist, steigt im Europa-Parlament der Ärger über die Personalpolitik der EU-Staaten. Im „Presse“-Gespräch warnen zwei hohe Vertreterinnen wichtiger Fraktionen davor, dass eine Kommission, der acht oder weniger Frauen angehören, keine ausreichende Mehrheit im Parlament finden könnte, wenn sich die Kommissarskandidaten im Jänner einer Anhörung stellen.
„Es ist durchaus möglich, dass wir eine Mehrheit gegen eine Kommission bekommen, die so unausgewogen ist“, sagte die Deutsche Rebecca Harms, die gemeinsam mit Daniel Cohn-Bendit die Grünen im Parlament führt. „Noch sind zwei Monate Zeit, um diese katastrophale Situation abzuwenden. „Wenn es weniger als acht Frauen im Vorschlag für die neue Kommission gibt, hätten die Mitglieder des Parlaments das gute Recht, ihre Unzufriedenheit zu äußern“, sagte die Britin Diana Wallis, die im Parteivorstand der Liberalen sitzt und eine Mehrheit gegen den Kommissionsvorschlag ebenfalls für möglich hält. „Ich würde das jedenfalls tun. Ich bin als Liberale gegen Quoten, aber Institutionen, die nicht repräsentativ sind, sind ein Grund, zornig zu werden.“
Der Unmut ist übrigens parteiübergreifend: EU-Parlamentarierinnen aus praktisch allen Fraktionen sind verärgert. Das Parlament hat das Recht, die Kandidaten anzuhören, und es darf zwar keine einzelnen Anwärter, wohl aber die gesamte Kommission ablehnen. Die Abgeordneten haben 2004 von dieser „nuklearen Option“ Gebrauch gemacht, als sie damit drohten, den gesamten Vorschlag von Kommissionspräsident José Manuel Barroso abzulehnen, sollte dieser den italienischen Kandidaten Rocco Buttiglione nicht zurückziehen. Er hatte Homosexualität als „Sünde“ bezeichnet und von der „traditionellen Rolle der Frau im Haushalt“ gesprochen.
Derzeit warten die Fraktionen ab, welchen Kandidaten Barroso vorschlägt und welche Ressorts er ihnen zuteilt. Das dürfe rund um den 10. Dezember der Fall sein. Allerdings dürfte Barroso dann nicht einmal acht Frauen präsentieren können: Nur mehr vier oder fünf Staaten nannten noch keine Kandidaten, es ist unwahrscheinlich, dass sie alle Frauen vorschlagen. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Barroso keine Mehrheit für sein an Frauen armes Team findet.
Ärger über Regierungen
Ihn selber trifft daran keine Schuld, meinen die Parlamentarierinnen. „Seine Bitte nach mehr Kandidatinnen ist bisher in Europa ungehört verhallt“, sagte Harms. „Er hat sich ehrlich bemüht“, ergänzte Wallis.
Trotzdem könnte sich der Ärger der weiblichen, aber auch vieler männlicher Abgeordneten zu einem starken Votum gegen Barrosos Vorschlag verdichten. Das Parlament hat zwar die Angewohnheit, als Tiger loszuspringen und als Bettvorleger zu landen. Doch das Klima zwischen Parlament und Rat wird sich in den kommenden fünf Jahren wegen der Personalpolitik der Regierungen verschlechtern. Sie müssen sich auf scharfen Gegenwind aus dem Parlament gefasst machen, da dieses durch den EU-Vertrag in fast allen Bereichen das Mitentscheidungsrecht bekommt.
Wenigstens die Bestellung der nächsten Kommission in fünf Jahren könnte transparenter ablaufen. „Für dieses Mal ist es wohl zu spät, aber wir müssen den Vorschlagsmodus ändern“, sagte Hannes Sowoboda, der Vizechef der sozialdemokratischen Fraktion, zur „Presse“. Sein Pendant bei der Volkspartei, Othmar Karas, spricht sich dafür aus, dass jedes Mitgliedsland mehrere Kandidaten vorschlagen muss – darunter zumindest eine Frau. „Ich bedauere die geringe Zahl der Frauen in der Kommission“, sagte Karas, „aber jetzt die Kommission zu gefährden und damit die EU zu schwächen wäre ein Fehler.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18. November 2009)