Kennedys 100. Geburtstag erinnert daran: Jugendliche Ausstrahlung und Charisma haben schon früher mehr gezählt als Programme. Über die neuen Kennedys.
Als der 30 Jahre alte Millionärssohn John F. Kennedy, den alle „Jack“ nannten, als frisch gebackener Kongressabgeordneter das Capitol betrat, hielt man ihn für den Liftboy. „Wie findet ihr das?“, fragte er seine Mitarbeiter im Büro, „da stiegen ein paar Leute in den Aufzug und sagten zu mir, sie wollten in den vierten Stock.“ Das hing vermutlich auch damit zusammen, dass er grauenvolle Anzüge trug, er hatte eine andere Auffassung von seiner Rolle hier und die brachte er in seiner Kleidung zum Ausdruck, obwohl er sich in gehobenen Kreisen zwanglos wie ein Aristokrat zu benehmen wusste. Er wirkte in seinem legeren Anzug noch immer wie ein Schulbub, dem das Hemd aus der Hose hing. Die meisten seiner Kollegen im Kongress konnten ihn nicht ernst nehmen.
Sympathien gewann er mit seinem gewinnenden Lächeln und seiner unverfälschten Offenheit, die Wirkung auf weibliche Wähler war „geradezu unanständig“, sie wollten ihn entweder bemuttern oder sofort heiraten, schrieb James Reston in der „New York Times“. Das half ihm bei seiner Präsidentschaftskandidatur. In kleinen Gruppen war er in Hochform, ließ sein entwaffnendes Lächeln blitzen, präsentierte sich in jungenhafter Ungezwungenheit. Sein Eindruck auf Menschen, die noch nie in einem Wahlkampf von einem Politiker direkt angesprochen worden waren, war ungeheuer. Er war der neue Typus des glanzvollen Politikers, der gut aussieht, Charme und ein ansteckendes Lachen hat. „Jack ist heute die größte Attraktion im Land“, sagte sein Vater Joe Kennedy 1959 zu Journalisten, „bringen Sie ein Bild von ihm auf dem Umschlag und Sie haben eine Rekordauflage. Wie kommt das? Er gefällt einfach allen.“
Sinnbild ewiger Jugend
Mit politischen Leistungen hatte die PR-Kampagne nicht immer zu tun, obwohl sich Kennedy als nachdenklicher und kluger Mann mit Ideen präsentierte. Monat für Monat strahlten er und seine schöne junge Frau von den Hochglanzseiten des „Life“-Magazins, er mit seinem wirren Haar und seinem jungenhaften gewinnenden Lächeln, ein „Meisterstück bemühter Nachlässigkeit“ (Reston), sie mit ihren dunklen Augen und dem schönen Gesicht. Im TV-Duell gegen seinen Kontrahenten Richard Nixon gewann er, weil er entspannter, selbstbeherrschter und wie ein Bild des blühenden Lebens wirkte, Nixon dagegen ausgezehrt und lustlos. Dabei waren Kennedys gesundheitliche Probleme realiter größer als die Nixons.
Kennedys Wahlslogan „Lasst uns Amerika wieder in Bewegung setzen!“ erzeugte besonders bei der Jugend ein Aufbruchsgefühl. Norman Mailer schrieb: „Wir wollten wieder Helden sehen. So entstand der Mythos einer Präsidentschaft, Politik und Mythos wurden für tausend Tage zu einer Einheit.“ Der Preis dafür, dass Kennedy als Sinnbild ewiger Jugend im Gedächtnis blieb, war hoch. Er fiel einem Mord zum Opfer.
Von dem jugendlichen Charisma dieses amerikanischen Helden wollte 1961 auch die SPD in Deutschland profitieren: Ihr gelang es im Wahlkampf 1961, die Begeisterung auf Willy Brandt zu übertragen, ihm wegen seiner jugendlichen Ausstrahlung ein medienwirksames „amerikanisches“ Image zu verschaffen. Das Team um Brandt kopierte wesentliche Botschaften von Kennedys Kampagne, Brandt selbst bezog sich in seinen Reden ständig auf ihn. Der Schachzug des Imagetransfers ging auf. Die deutsche Presse war damals voll von Vergleichen zwischen Brandt und Kennedy. Mit Kennedy war ein jugendlich-vitaler Präsident auf einen wesentlich älteren, Stillstand verkörpernden Amtsinhaber gefolgt, das ließ sich übertragen, plötzlich wirkte Adenauer in Deutschland wie ein Fossil, Brandt wie ein unverbrauchter und tatendurstiger Held. Die traditionelle Parteifarbe Rot verschwand völlig aus der SPD-Kampagne, so wie die ÖVP derzeit ihre alten Symbole und Logos entsorgt. Kulturpessimisten meinten: Wird hier für politische Inhalte geworben oder ein Waschmittel propagiert?
In der Gegenwart gibt es eine bemerkenswerte Renaissance dieses Jugendkults. 2012 wurden in Griechenland mit dem draufgängerischen Linkspolitiker Alexis Tsipras, gerade 37 Jahre alt, große Hoffnungen verknüpft, er trat mit dem breiten Lächeln eines Siegers auf, trug nie Krawatte, liebte Jeans. Provokant nahm Alexis, der Held, wie einst Herkules es mit ganz Europa auf. Am Ende wich Herkules der Übermacht in Brüssel. Frau Merkel hatte ihn sich vorgeknöpft.
Das Mädchen Jeanne d'Arc kämpfte einst für Frankreich, Emmanuel Macron wurde in seinem Kampf für neue Ideen mit der Heldin verglichen. Allein seine Jugend, seine Smartheit, seine Unverbrauchtheit machten ihn zur Sensation und zum Hoffnungsträger für das Land, das seit Jahrzehnten die immer gleichen Namen und Gesichter an die Spitze hievte. Viele hatten das Gefühl, jahrzehntelang von elitären Bürokraten regiert worden zu sein und ließen sich von der Frische des 39-Jährigen anstecken.
Coolness-Konkurrenz
Auch in Österreich traten Christian Kern und Sebastian Kurz mit dem Versprechen an, neue Wege zu beschreiten, die Machtversessenheit der alten Eliten einzubremsen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Mit neuem Stil. Der beschränkte sich oft nur auf Äußerlichkeiten, Kern präsentiert sich auf einem stylishen Instagram-Account, beide tragen gut sitzende Anzüge, beide sind rhetorisch versiert. Im Politstil sind kaum Unterschiede auszumachen, Journalisten sprechen von einem Slim-fit-Duell. Wer gewinnt die Coolness-Konkurrenz?
Jugendliche Helden, alle männlichen Geschlechts, betreten die Bühne, krempeln die Ärmel hoch, da sehen die alten politischen Führungsschichten ganz schnell verbraucht und ideenlos aus. Tsipras war 23 Jahre jünger als sein Vorgänger, Italiens Matteo Renzi acht, Kanadas Justin Trudeau 13, Sebastian Kurz 31. Trifft jugendlicher Reformgeist mit smartem Aussehen zusammen, werden Hoffnungen geweckt: Können sie die Populisten einbremsen? Oder wird nur alte Politik in neuen Schläuchen präsentiert? Die jungen Charismatiker mögen imstande sein, Künstler, Prominente und Politikferne an sich zu binden und den alten Parteiapparat hinter die Kulissen zu schieben. Doch das Beispiel Trump zeigt die Nachteile der Hyperpersonalisierung: Er als der mächtigste Mann der Welt ist ohnmächtig ohne ein Netzwerk von Routiniers, die die Abläufe im Politikbetrieb kennen. Die alten Strukturen sind ja nicht über Nacht verschwunden, wer sie ignoriert, stolpert ständig. Dann schlägt wieder die Stunde der uncharismatischen Politikmakler, die imstande sind, die unvermeidlichen politischen Kompromisse auszuhandeln. Deutschland und Großbritannien mit zwei starken erfahrenen Frauen an der Spitze haben sich auf das Wagnis der politischen Springinsfelde gar nicht erst eingelassen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2017)