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Edinburgh: Diese Liebe hat mich nie enttäuscht

(c) REUTERS (Peter Cziborra)
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Im Kino lief "Braveheart", im Radio Blur und England schied im Elfmeterschießen gegen Deutschland aus. Warum man bei Noah Chomsky immer noch an Whisky denken muss und was die EU damit zu tun hatte.

„Du musst Whisky trinken lernen“, sagte meine Tante, die seit mehr als 40 Jahren in Südengland lebt. „Sonst brauchst du dort gar nicht hinfahren.“ Mir grauste vor Whisky, aber für Schottland hätte ich alles auf mich genommen. Also ließ ich mich von ihr unterrichten: Zuerst einen Tropfen Whisky mit viel Wasser trinken, dann noch einen und noch einen, bis es mich nach tagelangem Training endlich nicht mehr schüttelte. Das war die Kür, vor der Abreise nach Edinburgh, die Pflicht war schon erledigt.

Nur eine Handvoll Studienplätze waren für Schottland ausgeschrieben gewesen und die Umstände waren nicht einfach: Die erste Hälfte des Anglistikstudiums musste mit einem Schnitt möglichst nah bei Eins abgeschlossen sein und es gab eine Befragung durch eine Kommission, was als heikelster Moment der ganzen Bewerbungsprozedur galt. Gegen Ende des Interviews fragte die Literaturprofessorin, eine gebürtige Engländerin, nach meinem schottischen Lieblingsschriftsteller. Blackout. Mir fiel kein einziger Name ein. „I really really really want to go there“, sagte ich flehentlich und schoss in Verzweiflung ein „Sir Walter Scott!“ nach.

Anglistikstudenten kann man vieles nachsagen, aber eine Obsession mit Scott ist ausgeschlossen. „Ivanhoe“ und „Rob Roy“ unter Zeitdruck zu lesen, ist wie Schwimmen gegen den Strom. Die Professorin zwinkerte mir zu, es wirkte verschwörerisch. Ich bekam den Studienplatz an der University of Edinburgh. Als Buße belegte ich dort dann ein Seminar über den schottischen Nationaldichter Robbie Burns. Dagegen war Scott eine Fingerübung gewesen.

»Die ersten Vorlesungen zur schottischen Literatur verließ ich den Tränen nahe. «

Friederike Leibl

Die wahren Gründe für meine Sehnsucht nach Schottland waren romantisch: Mit 13 hatte Christopher Lambert als „Highlander“ mein Herz erobert, seit damals war klar, wo ich unbedingt einmal leben, atmen, sein wollte: in den Highlands. Das konnte man einer Erasmus-Kommission aber nur schwer gestehen.

„Du brauchst eine ordentliche Windjacke mit Kapuze“, sagte die Tante zum Abschied noch. „Und keinen Schirm.“ Wenn man in Edinburgh aus dem Zug steigt, trifft einen die Schönheit der Stadt wie ein Blitz. Den Rest erledigt der ständige Wind. Er trug die Töne des Dudelsackspielers, der täglich neben der Princes Street spielte, überall hin. Das tröstete über die erste Verzweiflung hinweg, das Studentenheim nicht zu finden und nichts von dem zu verstehen, was die Menschen antworteten, wenn man nach dem Weg fragte.

Die Sprache blieb in den ersten Monaten auch das größte Problem. Ein Noah Chomsky-Seminar beim bekanntesten Linguisten Schottlands? Wahnsinnig interessant, nur leider verstand ich kein Wort. Die ersten Vorlesungen zur schottischen Literatur verließ ich den Tränen nahe. Skripten von Mitstudenten, an die man in Wien immer irgendwie gekommen war, gab es hier nicht. Es blieb nur der Weg in die Bibliothek, um alles nachzulesen.

Lernen, trinken, tanzen

Auch am Wochenende war die „Library“ der Ort, wo man sich wie selbstverständlich traf, zum Lernen, zum Schreiben, niemand hatte einen eigenen Internetanschluss. Kam die Sonne heraus, verlagerten sich Grüppchen in den Park, egal, bei welchen Temperaturen. Die wenigen Sonnenstrahlen waren heilig. So heilig war sonst nur der Gang ins Pub. Alles war hier intensiver als daheim: Das Lernpensum, der Ehrgeiz der Studierenden, das Trinken, die Leidenschaft für Musik. Um die stand es damals, am Höhepunkt des Britpop, auch so gut wie nie mehr wieder.

Intensiv war auch die Erfahrung, wie tief die Abneigung gegen England wurzelte. Die Vorstellungen von „Braveheart“ waren wochenlang ausverkauft. Bei jedem toten Engländer johlte der Kinosaal auf wie nach einem verwerteten Elfmeter. Und als England gegen Deutschland bei der Fußball-EM, noch dazu im eigenen Land, unterlag, war der Jubel in den Pubs grenzenlos. Man hielt lieber zu den Deutschen als jemals zu England. Aber so rau die Töne waren, so sehr prägte ironischer Witz die Begegnungen im Alltag.

Und dann ging es mit Studienkolleginnen endlich Richtung Norden in die Highlands. Den „Lassies“ vom Kontinent, endlich ein wenig der schottischen Sprache mächtig, konnten nun auch der Linksverkehr oder die Schafe auf der Straße nichts mehr anhaben. In Oban brachte uns die Destillerie fast um den Verstand, auf der Isle of Skye der Blick über die atemberaubende Mondlandschaft. Die Sehnsucht aus Teenagerzeiten war ein guter Kompass gewesen, und diese Liebe hat mich nie enttäuscht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2017)

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