Wenig Anreize für Langzeitarbeitslose

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Themenbild: Arbeitslosigkeit(c) Clemens Fabry
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In Deutschland und Skandinavien werden die Geldleistungen für Langzeitarbeitslose stufenweise reduziert. In Österreich ist das nur ansatzweise der Fall, kritisiert die Agenda Austria.

Wien. Am heutigen Donnerstag werden die jüngsten Arbeitslosenzahlen veröffentlicht. Es ist davon auszugehen, dass die Arbeitslosigkeit wieder zurückgegangen ist. Das ist erfreulich, doch ein Problem bleiben Langzeitarbeitslose. Beflügelt durch eine vom Finanzministerium in Auftrag gegebenen Studie wird in Österreich über die Einführung des deutschen Modells Hartz IV diskutiert. Bei Hartz IV bekommen Arbeitslose nach rund einem Jahr deutlich weniger Geld als zuvor. Zudem dürfen sie fast kein Vermögen besitzen. Meist beziehen Hartz IV-Empfänger etwas mehr als 400 Euro monatlich. Hinzu kommt eine Unterstützung für Miete und Heizung. In Österreich sind Langzeitarbeitlose finanziell besser abgesichert.

Das Thema wird auch im Wahlkampf eine Rolle spielen. Denn die ÖVP will die hohen Ausgaben für den Sozialstaat thematisieren, während die SPÖ bei Kürzungen auf der Bremse steht. Im Zusammenhang mit der weiterhin hohen Langzeitarbeitslosigkeit lassen nun Erhebungen der Denkfabrik Agenda Austria aufhorchen. Der „Presse“ liegen die Berechnungen vorab vor. Auf Basis von OECD-Zahlen wurde untersucht, wie viel Geld Arbeitslose nach einer bestimmten Zeit in Österreich, Deutschland, Finnland, Schweden und Dänemark bekommen. Der Vergleich mit den skandinavischen Ländern ist insofern interessant, weil die Menschen auch dort von einem gut ausgebauten Sozialstaat profitieren.

So viel bekommen Arbeitslose in den ersten fünf Jahren
So viel bekommen Arbeitslose in den ersten fünf JahrenQuelle: OECD, Agenda Austria / Grafik: "Die Presse" GK

Anmerkung: „Nur Familien, die keinen Anspruch auf Wohnzuschüsse oder zusätzliche Sozialhilfen haben“.

Anspruch auf Notstandshilfe

Zum besseren Verständnis wurde ein Einverdiener-Haushalt mit zwei Kindern unter die Lupe genommen. Neben dem Arbeitslosengeld stehen diesem Haushalt in Österreich auch Sozialleistungen wie die Familienbeihilfe zu. Das bedeutet, dass der Einverdiener-Haushalt zu Beginn eine Netto-Ersatzrate von rund 65 Prozent des Letzteinkommens erhält. Bei längerer Arbeitslosigkeit kann die Notstandshilfe beantragt werden. Meist beträgt die Notstandshilfe rund die Hälfte des letzten Einkommens. Im Beispiel der Agenda Austria sind es inklusive Sozialleistungen rund 61 Prozent. Die Notstandshilfe wird grundsätzlich ein Jahr lang gewährt, kann aber immer wieder verlängert werden.

Das Besondere an Österreich ist, dass dem Einverdiener-Haushalt auch nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit immer noch eine Netto-Ersatzrate von 61 Prozent des Letzteinkommens zusteht. Doch je länger die Arbeitslosigkeit dauert, umso mehr sinken die Chance auf eine neue Stelle. „Daher ist es wichtig, dass im Laufe der Zeit die Anreize steigen, einen neuen Job anzunehmen“, sagt Agenda Austria-Ökonomin Monika Köppl-Turyna. „Nicht umsonst ist es in fast allen europäischen Ländern so, dass die Geldleistungen für die Arbeitslosen mit der Zeit stufenweise abnehmen.“ In Österreich sei das nur ansatzweise der Fall.

In Deutschland und in Finnland ist die Ersatzrate zu Beginn höher als in Österreich. Doch die Unterstützung sinkt, wenn die Betroffenen nach einer bestimmten Zeit keinen Job finden. Wie bereits erwähnt, müssen sich in Deutschland Arbeitslose nach einem Jahr mit Hartz IV zufrieden geben. Im konkreten Beispiel sind das nur noch rund 41 Prozent des letzten Einkommens.

In Dänemark, Finnland und Schweden werden die Bezüge im Laufe der Zeit deutlich reduziert (siehe Grafik). „In Österreich kann die – recht unübersichtliche – Kombination aus zunächst Arbeitslosengeld, dann Notstandshilfe und Mindestsicherung sehr lange bezogen werden“, sagt Agenda Austria-Experte Dénes Kucsera. Damit sei der Anreiz, einen neuen Job anzunehmen, niedriger als anderswo. Kucsera meint, dass die Zahlungen an Arbeitslose in Österreich anfangs sogar höher sein könnten. „Dann sollten sie aber schneller sinken, wie das in Skandinavien der Fall ist.“

Denn die lange Zeit gleich bleibende Geldleistung verführe dazu, zu lange keinen Job anzunehmen. „Das führt in die sogenannte Inaktivitätsfalle“, so Kucsera. Gerade wenn Arbeitslose in Österreich für ihre Kinder auch Zusatzzahlungen erhalten, könne der Einkommensunterschied zu einem Lohn oft recht gering sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2017)

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