Warum der plötzliche Aufschwung? Man nennt es Kapitalismus

Nein, die Politik schafft nach wie vor keine Arbeitsplätze. Die Konjunktur zieht an, weil Unternehmen – allen Umständen zum Trotz – erfolgreich arbeiten.

Es war eine sehr interessante Veranstaltung am Mittwochabend. Im Palais Niederösterreich in der Wiener Herrengasse wurden die diesjährigen Börse-Preise vergeben, die heimische Industrie- und Unternehmenselite war ziemlich vollständig angetreten. Und ihnen wurde vom Festredner des Abends, von Finanzminister Hans Jörg Schelling, erklärt, dass sie bitte schön nicht so viel jammern sollen. Das Jammern sei nämlich schuld daran, dass wir nicht noch besser dastehen, als wir ohnehin dastehen. Ja, laut Schellings Rechnung hätten wir ohne Jammern einen Prozentpunkt mehr Wachstum. Schellings Konjunkturtheorie ist durchaus beachtlich. Weniger aus wissenschaftlicher als vielmehr aus kultureller Sicht. Sie sagt nämlich viel über das österreichische Selbstverständnis aus. Dinge sind nicht schlecht, sie werden nur schlechtgeredet.

Mittlerweile sind wir glücklicherweise ohnehin auf dem Weg aus dem Jammertal. Im Mai gab es nach langer Zeit wieder weniger als 400.000 Arbeitslose. Das Wirtschaftswachstum wurde erst vor wenigen Tagen nach oben revidiert. Und alle fragen sich: Wo kommt denn so plötzlich der Aufschwung her?

Klare Antwort: An der heimischen Politik liegt es nicht. Auch nicht daran, dass nach dem Bruch der Koalition so gut wie kein Vorhaben – also auch so gut wie keine Dummheit – umgesetzt werden wird. Denn eines haben die vergangenen Wochen eindrucksvoll gezeigt: Die Wirtschaft wartet nicht, bis sich eine Regierung gnadenhalber zu einem Beschäftigungsbonus durchringt. Die Unternehmer warten nicht mehr, bis sich die sogenannte Große Koalition endlich zu einer Reform der Gewerbeordnung durchringt. Es geht aufwärts trotz der widrigen Rahmenbedingungen. Nicht auszudenken, die Wirtschaft bekäme auch noch politischen Rückenwind.

Wir leben nämlich in keiner Planwirtschaft – auch, wenn es einem manchmal so vorkommen mag. Allen Unken- und verfrühten Nachrufen zum Trotz – was hier gerade in Europa passiert, das nennt man Marktwirtschaft und Kapitalismus. Ihnen verdanken wir – in Kombination mit einer ultralockeren Geldpolitik der EZB – den aktuellen wirtschaftlichen Aufschwung. Im Mai wurden in der Eurozone so viele Jobs in der Industrie geschaffen wie seit 20 Jahren nicht mehr. „Wenn Europa alles richtig macht, kann es die USA wirtschaftlich überholen“, sagte der bekannte US-Ökonom Jeremy Rifkin jüngst in einem Interview mit der „Welt“. Rifkin ist der Meinung, dass wir in Europa den technologischen Wandel besser im Griff haben als die USA. Leider gibt Rifkin wieder einmal der Politik, natürlich in erster Linie US-Präsidenten Donald Trump, die Schuld. Trump wolle eine „Infrastruktur der alten Generation“, kritisiert der Ökonom. Bei aller Liebe: So lang ist Herr Trump noch nicht Präsident, dass er das auf seine Kappe nehmen muss. Sein Problem wird eher sein, dass er den US-Unternehmen keine Anreize bietet, diese Transformation erfolgreich zu meistern. Denn Apple, Google oder Facebook zeigen zwar, wohin die Reise geht. Aber ihre Strahlkraft reicht nicht in arme Bundesstaaten wie Mississippi. Viele Industrien in den USA sind technologisch nicht auf dem letzten Stand – das gilt nicht nur für die Automobilindustrie.

U

nd in Europa? In Deutschland sind viele Wirtschaftsexperten besorgt, weil das Land im jüngsten Wettbewerbsranking auf Platz 13 abgerutscht ist. Vor vier Jahren war Deutschland noch Sechster. Jetzt könnte man natürlich sagen: „Vollbeschäftigung, Budgetüberschüsse, Exportweltmeister und dennoch unzufrieden: Geht's noch?“ Doch selbst die größte Volkswirtschaft Europas ist nicht überall zukunftsfit. In Sachen Digitalisierung droht „Made in Germany“ den Anschluss zu verlieren. Zum Glück lässt es sich leichter gegenlenken, wenn der Wirtschaftsmotor auf vollen Touren läuft.

Im Zweifel ist also das deutsche Schulterklopfverbot dem österreichischen Jammerverbot eindeutig vorzuziehen. Und wenn einer keinen Grund zum Jammern hat, dann ist es unser Finanzminister. Er wird heuer seinen Prognosen zufolge den Österreichern 84,4 Milliarden Euro an Steuern (ohne Sozialversicherungen) abknöpfen, um 3,3 Milliarden mehr als im Vorjahr.

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Seiten 1 und 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2017)

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