Jugendliche: Jeder Vierte mit psychischer Störung

Psychische Erkrankungen sieht man meist nicht von außen. Betroffene werden häufig stigmatisiert.
Psychische Erkrankungen sieht man meist nicht von außen. Betroffene werden häufig stigmatisiert.(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Fast ein Viertel der Zehn- bis 18-Jährigen in Österreich ist einer aktuellen Studie zufolge psychisch krank – am häufigsten kommen Angststörungen vor. Nur Wenige suchen Hilfe.

Wien. Knapp 24 Prozent der österreichischen Jugendlichen leiden aktuell an einer psychischen Erkrankung. 36 Prozent hatten in der Vergangenheit schon einmal eine solche Störung – das geht aus der ersten österreichweiten Studie zur Häufigkeit von psychischen Erkrankungen von Zehn- bis 18-Jährigen hervor.

Die wissenschaftliche Untersuchung wurde unter der Leitung von Andreas Karwautz und Gudrun Wagner von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Wien in Kooperation mit dem Ludwig-Boltzmann-Institut Health Promotion Research durchgeführt. Vor wenigen Tagen wurde sie in dem renommierten Journal „European Child and Adolescent Psychiatry“ veröffentlicht.

Die Studie wurde über die „Gemeinsamen Gesundheitsziele“ aus dem Rahmen-Pharmavertrag gefördert – einer Kooperation von Pharmig (Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs) und Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Ergebnissen.

1Welche psychischen Erkrankungen sind die häufigsten?

Erfasst wurden 27 Krankheitsbilder – und zwar nach dem sogenannten DSM-5-Katalog (Diagnostic and Statistic Manual of Mental Disorders), dem Klassifikationssystem der USA. Dazu haben die Forscher rund 4000 Jugendliche zwischen zehn und 18 Jahren in ganz Österreich befragt, davon fast 500 in persönlichen Gesprächen. Insgesamt haben 340 Schulen an der Studie teilgenommen.

Am häufigsten wurden mit 15,6 Prozent Angststörungen festgestellt, gefolgt von neuropsychiatrischen Entwicklungsstörungen mit 9,3 Prozent (darunter fallen beispielsweise das Aufmerksamkeitsdefizit- bzw. Hyperaktivitätssyndrom, ADHS) und Depressionen mit 6,2 Prozent.

2Zeigen Mädchen und Buben

dieselben Störungsbilder?

Nein, männliche Jugendliche leiden den Befragungen zufolge fast dreimal so häufig wie Mädchen an neuropsychiatrischen Störungen wie etwa ADHS und sechsmal so häufig an Verhaltensstörungen (zum Beispiel Impulskontrollstörungen wie Nägelkauen und Selbstverletzungen). Weibliche Jugendliche hingegen sind doppelt so oft von Angststörungen (Panikattacken etc.) und sogar zehnmal so häufig von Essstörungen betroffen.

3Bekommen die Betroffenen eine fachgerechte Behandlung?

Nicht einmal die Hälfte (47,5 Prozent) der Jugendlichen, die mindestens einmal in ihrem Leben an einer psychischen Krankheit gelitten haben, kontaktierte deswegen einen Spezialisten – etwa einen Kinder- und Jugendpsychiater. Der Besuch beim zuständigen Facharzt hängt offenbar stark vom Krankheitsbild ab: Rund 63 Prozent der Jugendlichen mit ADHS waren beim Spezialisten, bei Essstörungen waren es nur knapp 20 Prozent, noch weniger bei suizidalen Verhaltensstörungen (16,7 Prozent) und nicht suizidalem, selbst verletzendem Verhalten (zehn Prozent). Die Gründe dafür liegen laut Studienautor Andreas Karwautz unter anderem in der – immer noch bestehenden – Stigmatisierung der Erkrankungen und einer damit hohen Hemmschwelle, sich einem Arzt anzuvertrauen.

4Gibt es genug Einrichtungen, um den Jugendlichen zu helfen?

Den Studienautoren zufolge nicht. Sie beklagen die niedrige Anzahl an Kinder- und Jugendpsychiatern und entsprechender Einrichtungen in Österreich. „Derzeit gibt es in ganz Österreich 26 niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiater mit Kassenvertrag und 0,04 Betten (auf den Spitalsabteilungen, Anm.) pro 1000 Einwohner“, sagt Karwautz. „Da das Fach als Mangelfach definiert wurde, besteht Hoffnung auf eine Vermehrung der Ausbildungsstellen, was eine Voraussetzung einer zukünftigen Vollversorgung ist.“ Diese zu erreichen sei nur durch eine „gemeinsame Anstrengung der politischen Strukturen und der Fachgesellschaften möglich“.

Der Psychiater appelliert besonders an Eltern, bei deutlichen Verhaltensänderungen ihrer Kinder (extremer Rückzug, Entwicklung von „Ticks“) unbedingt die Hilfe eines Kinder- und Jugendpsychiaters in Anspruch zu nehmen. Denn: „Je früher die Behandlung beginnt, desto besser die Prognose für die Zukunft.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2017)

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