Gaskrise, Kaukasus: Mögliche neue Krisen als Herausforderung

Rompuy Ashton
Rompuy Ashton(c) AP (Geert Vanden Wijngaert)
  • Drucken

Überraschend schnell einigten sich die 27 EU-Regierungschefs auf Catherine Ashton und Herman van Rompuy. Sie sollen der EU einen starken Auftritt in der Welt verschaffen - und könnten bald hart geprüft werden.

BRÜSSEL. Um 20.17 Uhr war die Sache gegessen. Per SMS-Nachricht teilte die Sprecherin von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) den Journalisten im Justus-Lipsius-Gebäude des Rates mit, sich für die Pressekonferenz bereitzuhalten. Und nein, für die Schokolade-Leckerei, die als Nachspeise auf der Menükarte des Arbeitsessens der 27 Staats- und Regierungschefs stand, war kaum noch Zeit. Von einem Espresso ganz zu schweigen.

Seltsam angespannt war die Stimmung in den Stunden zuvor gewesen, und das lag nicht am üblichen Stacheldrahtverhau, den Wasserwerfern, gepanzerten Mannschaftswagen und permanenten Hubschraubergedröhn über Brüssel. Angespannt waren auch die zahlreichen Diplomaten und Attachés, die auf das harmlose „Hallo, guten Abend" der Korrespondenten nur ein „Ich weiß nix" entgegneten, um gesenkten Hauptes in die Katakomben des Ratsgebäudes zu huschen.

Faymann freut sich

Und dann ging alles so schnell. Niemand hatte erwartet, dass sich der Europäische Rat so schnell darauf einigt, die britische EU-Handelskommissarin Catherine Ashton zur ersten Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik („EU-Außenministerin") zu küren und den belgischen Ministerpräsidenten Herman van Rompuy zum ersten, für zweieinhalb Jahre amtierenden Ratspräsidenten. Sichtlich froh trat der Bundeskanzler vor die Medienvertreter und gab kund, er freue sich „über beide Persönlichkeiten", wobei die Labour-Politikerin Ashton „eine ganz besonders gute Entscheidung" ist.

Das Lob des Kanzlers verwundert nicht. Schließlich hatten sich die Führer der europäischen Sozialdemokratie, mittendrin Faymann, unmittelbar zuvor in der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU getroffen und auf Ashton geeinigt. Dass sie kaum bekannt sei, lasse er nicht gelten: „Es gibt viele Politiker, die erst durch ihre Arbeit bekannt geworden sind." Wozu er nicht zuletzt sich selber zähle. „Nachdem ich als Spitzenkandidat angetreten bin, habe ich wochenlang gelesen: keine Chance."
Abseits all der Erleichterung darüber, dass das wochenlange Ratespiel zu Ende ist, rückt aber der ursprüngliche Grund für diese beiden neuen Ämter aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Zur Erinnerung: Rompuy und Ashton sollen dafür sorgen, dass Europa nach außen geeint mit einer Stimme spricht. Immer wieder wird ein vermeintliches Zitat des früheren US-Außenministers Henry Kissinger angeführt, er wünsche sich eine einzige Telefonnummer, um mit Europa sprechen zu können.

Die Sache mit Kissinger

Auch wenn Kissinger das selbst nie gesagt hat, wie er Kommissionspräsident José Manuel Barroso einmal anvertraut hat: Der Befund stimmt. Barroso selbst beklagt immer wieder, dass er während seiner fünfjährigen Amtszeit mit zehn verschiedenen Ratspräsidenten zu hatte. Der halbjährig rotierende Vorsitz des Gremiums der Mitgliedstaaten macht die Entwicklung einer stringenten globalen Strategie Europas unmöglich.

Werden van Rompuy und Ashton das ändern? Machen wir ein Gedankenexperiment: Welche außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen könnten im Jahr 2010 aus heutiger Sicht auf sie zukommen?

► 1. Jänner: Neue Gaskrise.

Allen Versprechungen zum Trotz hat die Ukraine ihre Erdgasrechnungen bei Gazprom wieder nicht beglichen. Der russische Staatskonzern dreht daraufhin zu Silvester den Ukrainern den Gashahn zu, worauf diese das Gas, das für die EU-Staaten bestimmt ist, aus den Pipelines abzweigen. Das Szenario ist bekannt - doch wie reagieren die neuen EU-Vertreter?

Vermutlich gar nicht. Denn Ashton muss sich, weil sie auch Mitglied der Kommission ist, erst der Anhörung im Europaparlament stellen. Die wird frühestens Ende der ersten Jännerwoche beginnen. Bis dahin macht sie „am besten gar nichts offiziell", wie ein EU-Diplomat gegenüber der „Presse" erklärt. Van Rompuy wiederum nimmt laut Artikel 9 b des Lissabon-Vertrags „auf seiner Ebene unbeschadet der Befugnisse" von Ashton die „Außenvertretung der Union" wahr.

Viel mehr als nach Moskau und Kiew reisen und gut zureden wird er dabei nicht können. Und genau das tun derzeit auch die rotierenden Ratsvorsitzenden. Barroso wiederum führt nur noch die laufenden Geschäfte seiner Kommission. Den ganzen Jänner über werden ihm also die Hände gebunden sein.

► 24. Jänner: Aufruhr in Palästina.

Rund um die Präsidentenwahlen der Palästinenserbehörde kommt es zum Bürgerkrieg zwischen Hamas und Fatah, Israels Armee greift hart durch. Der Hohe Vertreter hat mittlerweile das Hearing im Parlament überstanden - und alle Hände voll damit zu tun, seinen Beamtenapparat zusammenzustellen. Ob er da in Nahost viel bewegen kann, ist fraglich. Zumal es niemand hyperaktiven Politikern wie Frankreichs Präsidenten Sarkozy verbieten kann, bilaterale Friedensinitiativen zu starten.

► Sommer 2010: Pulverfass Kaukasus.

Russische und georgische Truppen liefern sich nach dem Krieg vom Sommer 2008 erneut Gefechte. Der UN-Sicherheitsrat tritt zusammen, um eine Resolution zu verabschieden - aber Ashton ist nicht dabei. Frankreich und Großbritannien, die beiden europäischen permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates, werden ihre Stühle nie räumen. So wird sie von der Unterstützung der Briten, Franzosen und Deutschen abhängig sein. Auch Barroso wird mitreden: Ashton ist seine Vizepräsidentin.

► 9. Oktober: Ärger in der Weltbank.

Beim Treffen der Mitgliedstaaten von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in Washington platzt China und Indien der Kragen. Sie wollen entsprechend ihrer Wirtschaftsmacht vertreten sein und blockieren alle Entscheidungen. Die EU kann da nur zuschauen. Denn keiner ihrer Mitgliedstaaten wird auf seine Stimmrechte verzichten. Kein Wunder, dass die Europäer den Multilateralismus so gerne haben, unkt man in Diplomatenkreisen: Denn in jeder multilateralen Institution haben sie gleich 27 Stimmen.

Wie und ob Ashton und van Rompuy (oder ihre Nachfolger) je die Vertretung Europas in solchen internationalen Organisationen wahrnehmen, ist völlig unklar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Europa

EU-Parlament: Ashton stellt sich "informellem Hearing"

EU-Parlamentarier haben im Streit um die Bestellung der künftigen EU-Außenbeauftragten ein Einlenken signalisiert. Catherine Ashton soll sich am Mittwoch dem außenpolitischen Ausschuss stellen.
Europa

EU-Kommission: Ferreros Zukunft ist noch offen

Catherine Ashton tritt am 1. Dezember ihr Amt an. Kommissarin Ferrero könnte dann provisorisch die Außenhandels-Agenden übernehmen oder einen Teil der Außenpolitik behalten.
EU-Parlament und -Rat streiten über Catherine Ashton
Europa

EU-Parlament und Rat streiten wegen Ashton

Zankapfel der EU-Institutionen ist der Amtsbeginn der hohen Repräsentantin für Außenpolitik, Catherine Ashton. Das EU-Parlament will die künftige Kommissions-Vizepräsidentin gegebenenfalls verhindern.
Europa

Neue Posten: Streit um Amtsantritt der „Außenministerin“

Das EU-Parlament will die Britin Catherine Ashton vorher genau testen. Nach bisheriger Planung sollen die Anhörungen am 11. Jänner beginnen, das Votum zur Kommission soll dann Ende Jänner erfolgen.
Europa

Rauer Wind gegen EU-Duo: „Schwach und unbekannt“

Van Rompuy steht unter Druck der Länder, Ashton muss Parlament überzeugen. Sie wissen wohl, dass sie der „kleinste gemeinsame Nenner“ der 27 EU-Länder waren und sind.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.