Nach dem Attentat in der britischen Hauptstadt hat die Polizei die Namen von zwei der drei Attentäter bekanntgegeben. Der Terror sei nun die „neue Realität“.
London/Wien. Großbritannien muss erneut einen Terroranschlag verdauen. Nach dem Selbstmordattentat bei einem Popkonzert in Manchester Mitte Mai ermordeten Samstagabend drei Menschen mindestens sieben Passanten in London, ehe sie selbst erschossen wurden. Erst im März rammte und tötete auf der Westminster Bridge ein Attentäter mit einem Wagen mehrere Menschen und erstach einen Polizisten. Großbritannien und die Terrorwelle – dass keine ruhigen Zeiten zu erwarten sind, daraus machte Premierministerin Theresa May am Montag keinen Hehl.
Nach einem Krisentreffen mit den Sicherheitsbehörden sagte May, dass die Gefahr „schwerwiegend“ sei: „Das bedeutet, dass ein terroristischer Angriff sehr wahrscheinlich ist.“ Am Donnerstag finden auf der Insel vorgezogene Neuwahlen statt, und damit diese problemlos über die Bühne gehen, hätten Polizei und Sicherheitsbehörden einen umfangreichen Plan ausgearbeitet. Londons Polizeichefin, Cressida Dick, bekräftigte unterdessen, dass der Terror der vergangenen Wochen zwar eine internationale Dimension hatte, der Schwerpunkt liege aber in Großbritannien selbst: „Die Hauptbedrohung, der wir momentan gegenüberstehen, scheint nicht aus dem Ausland gesteuert zu sein.“ Zwar hat auch diesmal der sogenannte Islamische Staat (IS) – wie in Manchester und auf der Westminster Bridge auch – den Anschlag für sich reklamiert, aber ob und inwieweit das Attentat aus dem Ausland geplant wurde, steht nicht fest.
Dick zufolge hätte der IS über seine Kanäle die Menschen generell aufgefordert, „mit einfachen Mitteln“ die Anschläge selbst in die Hand zu nehmen. Der Terror sei eine „neue Realität“: Auch sie geht davon aus, dass die Gefahr in Großbritannien weiterhin hoch ist. Jihadistische Szenen gibt es vor allem in Birmingham, Manchester und London.
Zwei Attentäter identifiziert
May hat eine härtere Ganggart angekündigt, was den Anti-Terror-Kampf betrifft. Mit einem Vier-Punkte-Plan soll die islamistische Szene besonders intensiv bewacht werden, beispielsweise durch gezielte Kontrollen von Kommunikation im Internet. Auch sollen die Militäreinsätze in den IS-Hochburgen Syrien und Irak fortgeführt werden. In Großbritannien habe es „zu viel Toleranz für Extremismus“ gegeben, so May.
Zwei Tage nach dem Terroranschlag in London hat die britische Polizei zwei der drei mutmaßlichen Attentäter identifiziert. Khuram Butt, 27, sei der Polizei und dem Inlandsgeheimdienst MI5 bereits bekannt gewesen. Es habe aber keine Hinweise auf einen Anschlag gegeben. Butt sei ein in Pakistan geborener Brite, teilte die Polizei am Montag mit.
Als zweiten Angreifer der London Bridge wurde Rachid Redouane genannt. Dieser sei nach eigenen Angaben marokkanischer und libyscher Abstammung. Beide wohnten demnach im Ostlondoner Stadtteil Barking.
Am Wochenende und im Laufe des gestrigen Tages gab es mehrere Festnahmen. Angeblich hatte einer der Attentäter eine irische Aufenthaltsgenehmigung.
Sprengstoffattrappen am Körper
Die drei Männer waren Samstagabend mit einem Lieferwagen über die London Bridge in die Menschenmenge gefahren und gingen anschließend im nahegelegenen Borough Market mit Messern auf Passanten los. Laut Polizei trugen sie Sprengstoffattrappen am Körper. Augenzeugen berichten, dass sie „Das ist für Allah“ gerufen hätten, während sie auf die Menschen zustürmten. Die Polizei erschoss die Attentäter kurz nach ihrer Ankunft am Borough Market, acht Minuten nach dem ersten abgesetzten Notruf.
Bei den bisher identifizierten Opfern handelt es sich um eine junge Kanadierin, die in einem Obdachlosenheim arbeitete, ehe sie zu ihrem Verlobten nach Europa zog. Ein junger Franzose, der in einer Bar nahe dem Borough Market tätig war, wurde mit einem Messerstich ermordet, berichten französische Medien. Ein weiterer Franzose wird noch vermisst. Die australische und die deutsche Regierung meldeten, dass sich mehrere ihrer Staatsbürger im Spital befänden. Von den 36 Verletzten schweben 21 weiterhin in Lebensgefahr.
Manchester gedachte der Opfer
Während die Ermittlungen in London auf Hochtouren laufen, rief Bürgermeister Sadiq Khan für Montagabend zu einer Mahnwache unweit der London Bridge auf: „Wir werden die Feiglinge nie gewinnen, und wir werden uns vom Terrorismus nie einschüchtern lassen.“ Auch Manchester gedachte der 22 Opfer mit einem Benefizkonzert. Rund 50.000 Besucher kamen am Samstag zu der Veranstaltung „One Love Manchester“, neben britischen Stars wie Robbie Williams und seiner alten Band Take That traten US-Stars wie Pharrell Williams und Katy Perry auf – und Ariana Grande. Vor zwei Wochen war das Konzert der jungen Sängerin Ziel des Terroranschlags in Manchester gewesen. Premierministerin May sagte, dass es zwischen den Anschlägen in London und Manchester wohl keine Verbindung gebe.
Unterdessen sorgten mehrere Tweets von US-Präsident Donald Trump für Empörung in London. Trump nannte die Ereignisse in Großbritannien als Beispiel, um sein Einreiseverbot für Bürger aus mehreren muslimischen Staaten zu stärken. Derzeit haben mehrere US-Richter das Verbot gestoppt, die Regierung hat den Supreme Court angerufen. Man müsse mit der political correctness aufhören, so Trump weiter. An den Londoner Bürgermeister adressiert schrieb er, dass dieser nach einem Attentat mit sieben Toten gesagt hätte: kein Grund zur Aufregung. Khan sagte jedoch, dass die Polizeipräsenz in den Straßen erhöht werde und die Bürger deswegen keinen Grund zur Aufregung hätten. (ag./duö)
Auf einen Blick
London. Drei Attentäter sind Samstagabend mit einem Lieferwagen über die London Bridge in eine Menschenmenge gefahren und haben anschließend im Borough Market Passanten mit Messern attackiert. Sie ermordeten sieben Menschen. Die Polizei erschoss die Attentäter. Ihre Identitäten sind den Ermittlern bekannt, allerdings noch nicht veröffentlicht worden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2017)