French Open: Das Puzzle setzt sich zusammen

Dominic Thiem holt bei den French Open zum großen Schlag aus. Der ÖTV-Star besiegte erstmals in seiner Karriere Novak Djoković und steht zum zweiten Mal nach 2016 im Halbfinale.
Dominic Thiem holt bei den French Open zum großen Schlag aus. Der ÖTV-Star besiegte erstmals in seiner Karriere Novak Djoković und steht zum zweiten Mal nach 2016 im Halbfinale. (c) REUTERS (PASCAL ROSSIGNOL)
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Durch den ersten Sieg über Novak Djoković erreichte Dominic Thiem, 23, wie im Vorjahr das Halbfinale in Paris, dort wartet Sandplatzkönig Rafael Nadal. „Es wird nicht einfacher.“

Paris/Wien. Novak Djoković schlich entnervt über den Court Suzanne Lenglen. Der Serbe wirkte ratlos, sein Blick leer. Er hatte schon so viele Aufgaben in seiner Karriere bewältigt, zwölf Grand-Slam-Titel machen ihn zu einem der erfolgreichsten Spieler aller Zeiten. Doch an diesem Mittwochnachmittag hatte der 30-Jährige aus Belgrad, der im Vorjahr erstmals die French-Open-Trophäe stemmen durfte, keine Antworten mehr parat auf die vielen Fragen in Form von harten Schlägen, die da auf ihn niederprasselten.

Der 23-jährige Niederösterreicher Dominic Thiem hatte Djoković im Viertelfinale vor gewaltige Probleme gestellt. Dass diese für den Titelverteidiger letztlich unlösbar sein sollten, verblüffte. Mit 7:6 (5), 6:3 und 6:0 hatte der Schützling von Günter Bresnik den Weltranglistenzweiten regelrecht aus dem Turnier geschossen, Thiem erreichte damit zum zweiten Mal in Folge das Halbfinale der French Open. Vor zwölf Monaten hatte der Lichtenwörther von Djoković auf eben diesem Court Suzanne Lenglen noch eine Lehrstunde erteilt bekommen. Sieben Games erbeutete Thiem damals, diesmal gewann der Serbe selbst nur neun. Als Thiem beim Stand von 4:5 zwei Satzbälle abwehren konnte und nach 73 Minuten das Tiebreak gewann, waren die Fronten abgesteckt. „Der erste Satz“, meinte Thiem anschließend, „war der Schlüssel zum Erfolg. Damit habe ich mich ein bisschen freigespielt.“

Ein Tennisspiel als Spiegelbild

In der Tat schüttelte Thiem seine Gewinnschläge fortan noch lockerer, scheinbar mit Leichtigkeit, aus der rechten Schlaghand. Vorhand, Rückhand, Aufschlag, Return – vieles, fast alles, gelang. Auf der anderen Seite des Netzes haderte ein Superstar mit den enormen Qualitäten des Gegenübers, aber genauso mit dem eigenen Spiel. Nach dem 0:2-Satzrückstand und einem frühen Break im dritten Satz war der Widerstand des Serben gebrochen. Eine erstaunliche Errungenschaft Thiems, der meinte: „Solche Leute wie Djoković kann man mental fast nicht brechen.“

(c) APA/AFP/ERIC FEFERBERG

Das letztlich einseitige Match zwischen Thiem und Djoković spiegelte im Endeffekt nichts anderes als die Entwicklung der beiden Kontrahenten in den vergangenen zwölf Monaten wider. Während Thiem sein Spiel gefestigt hat und zu einem fixen Bestandteil der Top Ten avanciert ist, quält sich der Serbe seit seinem French-Open-Premierensieg am 5. Juni 2016 durch ein Tal der Zweifel. Nach der Trennung von Boris Becker Ende des Vorjahres beendete „Nole“ vor wenigen Wochen die Zusammenarbeit mit dem restlichen Erfolgsteam, dem auch der Tiroler Fitnesscoach Gebhard Gritsch angehörte. Ob Andre Agassi – der French-Open-Sieger 1999 betreute ihn in der ersten Paris-Woche vor Ort – zu einer Dauerlösung wird, bleibt abzuwarten.

Wiedersehen mit Nadal

Thiem jedenfalls wusste die spielerischen (Rückhand) und mentalen Probleme des einstigen Branchenprimus auszunutzen, im sechsten Aufeinandertreffen mit Djoković ging er erstmals als Sieger vom Platz. Kürzlich hatte Djoković den damals kraftlosen Niederösterreicher im Rom-Halbfinale noch mit 6:1, 6:0 gedemütigt, drei Wochen später sah die Tenniswelt ganz anders aus. „Er war heute definitiv der Bessere“, meinte die ehemalige Nummer eins.

Neben 530.000 Euro (brutto) und 720 Punkten für die Weltrangliste bringt Thiem sein zweites Paris-Halbfinale ein erneutes Duell mit Rafael Nadal. Der Spanier profitierte im Viertelfinale gegen Pablo Carreño Busta beim Stand von 6:2, 2:0 von der verletzungsbedingten Aufgabe des Landsmanns.

Wie Thiem ist auch Nadal in Roland Garros noch ohne Satzverlust. Im direkten Vergleich führt der neunfache Paris-Champion mit 4:2, das bislang letzte Spiel in Rom konnte Thiem allerdings für sich entscheiden . . .

11. Juni 1995: Muster gewinnt in Paris, und der ÖFB in Irland.

Toni-„Doppelpack“

11. Juni – Österreichs Glückstag

Paris/Wien. Man mag an Zufälle oder schicksalsträchtige Begegnungen glauben oder nicht, aber ein Blick in den Kalender lässt dieser Tage doch zumindest staunen. Am Sonntag, den 11. Juni 1995, hatte Thomas Muster als erster und bislang einziger Österreicher in Paris ein Grand-Slam-Turnier im Einzel gewonnen. Die Szenen seines Finalsiegs über den kleinen und wieselflinken US-Amerikaner Michael Chang haben sich in das Gedächtnis zahlloser Tennisfans eingebrannt, es sind unauslöschliche Erinnerungen.

Ausgerechnet am 11. Juni 2017 wird bei den French Open das diesjährige Endspiel der Herren ausgetragen. Und wieder könnte ein Österreicher Geschichte schreiben, Dominic Thiem trennt „nur“ noch ein Erfolg über Rafael Nadal vom erstmaligen Einzug in ein Grand-Slam-Finale.

Neben Tennis liefert dieser Tage hierzulande vor allem König Fußball die sportlichen Schlagzeilen. Österreichs Nationalteam steht Sonntagabend in der WM-Qualifikation vor einem richtungsweisenden Spiel in Dublin. Wird gegen Irland nicht gewonnen, dürfte die Endrunde 2018 in Russland mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ohne Österreich stattfinden. Hoffnung auf einen Erfolg in Dublin gibt die Geschichte, auch am 11. Juni 1995 standen einander die beiden Mannschaften gegenüber. In der EM-Qualifikation hatte das ÖFB-Team auswärts unter Herbert Prohaska mit 3:1 gewonnen, nach einem 0:1-Rückstand drehten Toni Polster mit einem Doppelpack (70., 79.) und Andreas Ogris (73.) innerhalb von neun Minuten das Spiel zugunsten der Österreicher.

Am 11. Juni 1995 rockten in Spielberg Bon Jovi und Van Halen auf dem A1-Ring. Damals glaubte auch niemand daran, dass jemals die Formel 1 wieder in Österreich fahren würde. Zwei Jahre später war es soweit, in der Gegenwart ist der Red-Bull-Ring Fixbestandteil im Sportkalender. Wie Thiem, der längst in den Top Ten der Welt angekommen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2017)

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