Eine europäische Idealbesetzung

Herman Van Rompuy und Catherine Baroness Ashton verkörpern tatsächlich Europa: den Minimalkonsens.

Selten sind sich die Kommentatoren unterschiedlichster weltanschaulicher Herkunft so einig wie in der Bewertung der beiden neuen Spitzenrepräsentanten der Europäischen Union. Vom „Europa der Zwerge“ ist nach der Nominierung von Herman Van Rompuy als Ratspräsident und Catherine Baroness Ashton als EU-Außenministerin zu lesen – und vom „kleinsten gemeinsamen Nenner“. Herr Strasser, der sogenannte Delegationsleiter der ÖVP im Europäischen Parlament, sagte auf die Frage, wie er die fachlichen Qualitäten der neuen EU-Außenministerin einschätze: „Ich kommentiere das nicht. Ist das Kommentar genug?“ Doch, doch, ist es.

Die Kritik auch der ernst zu nehmenden Repräsentanten der europäischen Politik gilt sowohl dem Bestellungsvorgang als auch seinem Ergebnis. Da habe der 27 Staaten hohe Berg der Union gekreißt und zwei graue Mäuse geboren, heißt es. Die Österreicher werden es vielleicht als Entlastung empfinden, dass es auch in der großen weiten europäischen Welt so peinlich zugehen kann wie in Wien: Wenn im Gezerre um ein zu vergebendes Amt alle Beteiligten ihre Sekundärinteressen gegeneinander ausspielen, betreten Leute die Bühne, nach denen noch kurz zuvor kein Hahn gekräht hätte. So ist das eben.

Ist das so? Und wenn ja, ist es wirklich schlecht? Zunächst einmal kann man den Einwand nicht einfach vom Tisch wischen, den die deutsche Kanzlerin Angela Merkel den Kritikern des „Zwergen“-Beschlusses entgegengehalten hat: „Ich gehöre zu den Menschen, die wissen, dass Persönlichkeiten in Aufgaben hineinwachsen können.“ Der österreichische Außenminister Michael Spindelegger äußerte sich ähnlich. Auch er spricht aus Erfahrung. Dass man in eine Aufgabe hineinwachsen kann, bedeutet ja nicht automatisch, dass man das auch tut. Apropos Werner Faymann: Er erklärte im Interview mit „Österreich“, dass Baroness Ashton seine „Favoritin“ gewesen sei. Das ist absolut glaubwürdig.


Die allerorten vernehmbare Klage, dass die Bestellung von Ratsvorsitzendem und Außenministerin ein denkbar schlechter Start für die Lissabon-EU sei, steht argumentativ auf schwachen Beinen. Gewiss, der erst seit einem Jahr im Amt befindliche belgische Premier und die ebenfalls erst seit einem Jahr amtierende Handelskommissarin der Union gehören nicht zu den Schwergewichten der europäischen Politik. Aber sie haben gegenüber Kapazundern wie Tony Blair oder Jean-Claude Juncker einen entscheidenden Vorteil, was die europäische Verfahrensökonomie betrifft: Es wird nicht viel Aufwand bedeuten, die beiden Neuen mit der gemeinsamen EU-Position vertraut zu machen – denn das wird auch unter dem Lissabon-Regime der Minimalkonsens der 27 sein. Aber es wäre viel europäische Energie vonnöten gewesen, ein Alphatier wie Blair vom Egotrip in die visionäre Stratosphäre zurück auf die europäische Erde zu bringen.

Natürlich wäre es für Intellektuelle, Journalisten und andere Anhänger der Idee einer europäischen Ideenweltherrschaft interessanter, Tony Blairs Agieren zu verfolgen als das von Herman Van Rompuy. Letzterer will ja, wie er gleich nach Bekanntgabe seiner Bestellung erklärt hat, vor allem „zuhören“, Blair hätte mehr geredet, und das ziemlich gut.


Aber die Behaglichkeitsspanne professioneller Politikbeobachter ist das eine, die Realität der europäischen Politik das andere. Dazwischen liegt die Einschätzung dessen, was der Vertrag von Lissabon wirklich bringt. Nach Meinung seiner Befürworter sind das vor allem „Demokratisierung“ und „einheitliches Auftreten“ der Union nach innen und außen. Beides sind Placebos, deren Wirkung auf einer gängigen Illusion beruht: dass man nämlich so etwas wie eine parlamentarische Demokratie außerhalb nationalstaatlicher Grenzen etablieren könnte. Der Zug in Richtung europäische Staatlichkeit wurde spätestens mit der Osterweiterung vom Fahrplan gestrichen, und wer glaubt, dass er eine supranationale Organisation wie einen Nationalstaat führen kann, unterliegt einem tragischen Irrtum.

Wer sich täuscht, sollte sich über Ent-Täuschungen nicht ärgern, sondern dankbar dafür sein. Herman Van Rompuy und Catherine Baroness Ashton sind Idealbesetzungen für die beiden neuen Ämter, die Lissabon-Europa zu vergeben hat. Sie statten es mit dem notwendigen Maß an Enttäuschungsresistenz aus.

Man könnte auch sagen, dass es sich um eine Art Verösterreicherung der EU handelt: Wenn man einmal an dem Punkt angelangt ist, an dem man sich nichts mehr erwartet, kann man auch nicht mehr enttäuscht werden.


michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2009)

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