Nach den EU-Topjobs: Gerangel um die Kommission

Europa hat eine neue „Außenministerin“ und auch einen Ratspräsidenten. Jetzt muss Barroso seine Kommission bilden. Bis Jänner wird er mit Ländern und EU-Parlament verhandeln.

WIEN/BRÜSSEL. Auf das kurze Aufatmen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend beim EU-Gipfel wegen der neuen EU-Spitzen wird ein neues Gerangel folgen. Kaum sind die Britin Catherine Ashton zur neuen „EU-Außenministerin“ und der Belgier Herman Van Rompuy zum neuen EU-Präsidenten gewählt (siehe Seite 6), steht schon der nächste Kampf der EU-Länder mit Kommissionschef José Manuel Barroso bevor: Die 27 Mitgliedstaaten müssen sich mit dem Präsidenten einigen, welches Land in den nächsten fünf Jahren welches Ressort besetzt.

Zwar muss ein EU-Kommissar nach dem europäischen Recht streng dem EU-, nicht dem nationalen Interesse dienen. Trotzdem will jedes Land ein möglichst prestigeträchtiges Kommissariat besetzen – in der Hoffnung, dass „sein“ Kommissar eben doch dann und wann informell Informationen aus seinem Gebiet an die Regierung liefert oder einfach im Kreis der Kommissarskollegen eine stärkere Stimme hat, angesehener ist.

Hahns Zukunft ungewiss

Noch ist nichts fix. Für Österreich ist ÖVP-Wissenschaftsminister Johannes Hahn am Start. Er könnte sein bisheriges Fachgebiet, die Forschung, übernehmen, heißt es. Wobei dieses bisher durchaus gewichtige Dossier in der nächsten Kommission geschmälert werden könnte, denn Barroso will seine Behörde umbauen (siehe Artikel unten). Zum Beispiel könnte die Grundlagenforschung ins Bildungs-, die angewandte Forschung ins Industriekommissariat wandern. Für Hahn infrage käme angeblich auch das Regional- oder das Umweltressort.

In seinem – und Österreichs – Bestreben um ein „Zukunftsressort“ matcht er sich mit 25 weiteren Anwärtern auf die EU-Kommission (Barroso ist bereits für Portugal gesetzt). Fast alle Regierungen haben dem Kommissionschef bereits ihren Favoriten für die oberste Verwaltungsbehörde Europas genannt, aus drei Ländern fehlen die Namen noch (siehe rechts). Damit ist der Kommissarspoker längst nicht entschieden. Besonders heiß begehrt ist das geplante neue Ressort für Finanzdienstleistungen, das für den Kampf gegen die Krise stark besetzt werden soll. Das könnten die Franzosen besetzen – es sei denn, sie bekämen das Binnenmarktressort.

Noch zeichnet sich keine Einigung zwischen den Ländern und Barroso ab, am Ende liegt es am Präsidenten, sein „Dream-Team“ vorzuschlagen. Doch weil er die Regierungen nicht brüskieren will, wird er eine Ressortverteilung anstreben, mit denen alle gut können.

Die Zeit drängt allerdings. Denn schon mit 1.Dezember wird der neue EU-Vertrag von Lissabon in Kraft treten. Und mit ihm soll – und muss – Catherine Ashton ihr neues Amt der „EU-Außenministerin“, der Stimme in der Welt, übernehmen. Gleichzeitig muss sie auch das Amt der Vizechefin der EU-Kommission erfüllen. Dafür muss sie erst ein Hearing im EU-Parlament bestehen, denn dieses kann die nächste Kommission sogar ablehnen. Damit Ashton als Außenministerin starten kann, obwohl die anderen Kommissare noch nicht gehört wurden, könnte sie Anfang Dezember vorläufig von den Parlamentariern bestätigt werden – und endgültig erst im Jänner, wenn auch die anderen 25 Kommissare (neben Barroso) den Segen des Parlaments erhalten. Solange die neue Kommission nicht bestätigt ist, muss die bisherige im Amt bleiben – als Übergangskommission, der auch EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) „bis zuletzt“ angehören will.

Verzögerungen bis Februar

Eine vorläufige Kommission hat aber Nachteile bei wichtigen Entscheidungen, darunter solche über Fusionen oder staatliche Beihilfen. Diese könnten von Unternehmen eher angefochten werden, weil sie von der „alten“ Kommission stammen, die auf Basis des bisherigen Nizza-Vertrags operiert. Und der gibt der Behörde weniger Rechte in Wettbewerbsfragen als der Lissabon-Vertrag. Die Konsequenz: Die Kommission lahmt und drückt sich sogar um zentrale Entscheidungen, bis das neue, fixe Kommissarsteam gemäß Lissabon für die nächsten fünf Jahre startet.

Erst Ende Jänner oder vermutlich bis 1. Februar werde es so weit sein, sagen EU-Insider. Denn das Parlament will voraussichtlich erst ab 11.Jänner mit seinen Hearings beginnen. In zweieinhalb Monaten heißt es also: Leinen los für die neue Kommission gemäß dem EU-Vertrag von Lissabon.

DIE NEUE KOMMISSION

Die meisten aller 27 Länder haben bereits ihre Kandidaten für die neue Kommission nominiert. Längst vom EU-Parlament bestätigt ist José Barroso für Portugal. Von den Ländern bestellt ist seine Stellvertreterin, „EU-Außenkommissarin“ Catherine Ashton, für Großbritannien.

Namen an Barroso übermittelt haben neben Österreich (Johannes Hahn), Deutschland (Günther Oettinger), Frankreich (Michel Barnier), Spanien (Joaquin Almunia), Italien (Antonio Tajani), Griechenland (Maria Damanaki), Irland (Maire Geoghegan-Quinn), Schweden (Cecilia Malmström), Polen (Janusz Lewandowski), Ungarn (Laszlo Andor), Tschechien (Stefan Füle), Bulgarien (Rumyana Zheleva) und Rumänien (Dacian Ciolos). Auf ihre bisherigen Kommissare vertrauen Finnland (Olli Rehn), Belgien (Karel de Gucht), Luxemburg (Viviane Reding), Slowenien (Janez Potocnik), Estland (Siim Kallas), Lettland (Andris Piebalgs), Litauen (Algirdas Semeta) und Zypern (Androulla Vassiliou) sowie die Slowakei(Kurzzeitkommissar Maros Sefkovic).

Noch offen waren zuletzt die Kommissare aus Dänemark, Malta und den Niederlanden, die aber wieder Neelie Kroes schicken könnten. Bis Anfang Dezember will Barroso die Nominierungen haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2009)

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