Überlebenskampf: May setzt auf die harte Linie

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Inmitten der Rücktrittsaufforderungen gegen sie bestellt die britische Premierministerin einen Brexit-Vorreiter in ihr Kabinett. Brexit-Minister Davis macht klar: London ist auf einen Ausstieg ohne Deal vorbereitet.

Ob sie nach ihrer Wahlschlappe "zutiefst erschüttert" sei? Nein, antwortete Theresa May in einem Interview am Sonntag - trotz der immer lauter werdenden Rücktrittsaufforderungen. "Was ich fühle ist, dass es einen Job zu erledigen gibt", sagte die britische Premierministerin auf Sky News. "Und ich denke, die Bürger wollen, dass die Regierung den Job weitermacht."

Der Frage, ob sie eine volle Legislaturperiode lang im Amt bleiben wolle, wich May aus. "Ich habe während des Wahlkampfes gesagt, wenn ich wiedergewählt werde, habe ich vor, für eine komplette Amtszeit zu bleiben. Aber was ich jetzt tue, ist, sofort mit der Arbeit weiterzumachen." Als Prioritäten nannte die konservative Politikerin die Bildungs- und Wohnungspolitik.

Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit der Tories bei der vorgezogenen Unterhauswahl am Donnerstag ist May stark unter Druck geraten, auch im eigenen Lager. Ex-Finanzminister George Osborne, den sie nach ihrem Amtsantritt entlassen hatte, bezeichnete May gar als "Dead Woman Walking". Ihre Tage seien gezählt, sagte er am Sonntag der BBC. Die einzige Frage sei, "wie lange sie noch im Todestrakt" sitze.

Wahlausgang ein "Albtraum"

Unterstützung bekam May am Montag hingegen von Brexit-Minister David Davis: Sie sei nicht dem Untergang geweiht. Er empfinde die Debatte der Konservativen nach der Wahlschlappe sehr selbstbezogen, sagte er in einem Interview mit dem Sender ITV. Auch wenn das Wahlergebnis ein "Albtraum" sei, May sei eine sehr gute Premierministerin: "Es gibt einen Unterschied zwischen dem Leiten einer Wahlkampagne und dem Führen eines Landes und darin ist sie sehr gut."

Den Start der Brexit-Verhandlungen am 19. Juni im Blick bekräftigte Davis nochmals die Verhandlungsposition seiner Partei-Chefin: Er will den Zeitplan für die Austrittsverhandlungen des Landes aus der EU einhalten und am Austritt seines Landes aus dem Europäischen Binnenmarkt festhalten. Es bleibe zudem dabei, dass Großbritannien die Option habe, die Gespräche mit der EU ohne eine Einigung zu verlassen. Auch für diesen Fall - "No deal is better than a bad deal" - gebe es Planungen. Davis zerstörte damit die Hoffnung vieler Brexit-Gegner, die Konservative könnte ihre harte Brexit-Haltung aufweichen.

"Titanic ist am Sinken"

May gab am Sonntag ihre vollständige Kabinettsliste bekannt, wobei die Schlüsselposten der Regierung unverändert sind: Außenminister Boris Johnson, Brexit-Minister David Davis, Finanzminister Philipp Hammond, Innenministerin Amber Rudd und Verteidigungsminister Michael Fallon bleiben im Amt. Der Vorsitzende der stimmenmäßig als drittstärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangenen Liberaldemokraten, Tim Farron, mokierte sich über das neue Kabinett: Es sei so, "als würden die Liegestühle umgestellt, während die Titanic am Sinken ist", sagte er.

Für Überraschung sorgte allerdings die Ernennung Mays früheren Rivalen Michael Gove zum Umwelt- und Agrarminister. "Das habe ich wirklich nicht erwartet", sagte der Brexit-Vorkämpfer. "Ich freue mich, Theresa unterstützen zu dürfen." Gove hatte sich nach dem Brexit-Votum um den Vorsitz der regierenden Konservativen beworben, war aber May unterlegen. Er war als Justizminister der Wortführer der Brexit-Gegner im Kabinett von Premierminister David Cameron, der sich für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union stark machte. Beobachter sehen die Berufung Goves als Versuch der Regierungschefin, den potenziellen Anführer einer innerparteilichen Rebellion an sich zu binden.

DUP ist innerhalb der Tories umstritten

Auch im Hinsicht auf die Brexit-Gespräche ist die Wahl Goves interessant: Die Politikerin wollte sich mit der Wahl eigentlich Rückendeckung für die Verhandlungen holen. Stattdessen verloren ihre Konservativen am Donnerstag ihre absolute Mehrheit: Ihnen fehlen acht Stimmen, die Democratic Unionist Party (DUP) verfügt über zehn Mandate. Die geplante Zusammenarbeit stößt allerdings bei vielen von Mays Parteifreunden auf Skepsis, da die nordirische Partei etwa bei Abtreibung und Homo-Ehe erzkonservative Positionen vertritt. Zudem könnte die Kooperation die Spannungen in Irland verstärken.

Die Vorsitzende der Democratic Unionist Party, Arlene Foster, bewertete die bisherigen Gespräche am Sonntag als "sehr gut". Ein Knackpunkt für die Tories und die DUP dürfte die Grenze zwischen Irland und Nordirland nach dem britischen EU-Austritt sein. Die Nordiren wollen keine feste EU-Außengrenze zu Irland, die Familien trennen und Handelsbeziehungen stören würde. Daneben dürfte die DUP finanzielle und sozialpolitische Zusagen aushandeln.

(APA/AFP/Reuters/dpa)

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