Was wurde aus... dem Waldsterben?

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"Der Wald stirbt", wurde uns in den 1980er-Jahren erklärt. Mittlerweile gibt es in Österreich mehr Wald als je zuvor. Warum eigentlich? Haben die Warnungen die Bäume gerettet – oder hat man damals einfach nur heillos übertrieben?

In der Ecke steht der Christbaum aus Plastik; Tisch und Sessel sind aus Eisen, weil sich Holz niemand mehr leisten kann; draußen vor der Tür schweift der Blick ungehindert kilometerweit über kahle Hügel; und den Wienerwald haben sie umbenannt in „Wienerwiese“. Denn Wald gibt es hier keinen mehr. Wer einen Baum sehen will, der muss ins Naturhistorische Museum gehen.

Wenn man sich in den 1980er-Jahren die Zukunft ausmalte, dann sah sie ungefähr so aus. „Im Jahr 2000“, verkündete damals Hannes Mayer, mittlerweile verstorbener Professor an der Universität für Bodenkultur in Wien, „wird es keinen Wald mehr geben“. „Saurer Regen“ hatte vor knapp 30 Jahren ein ähnliches Horrorpotenzial wie heute die „Erderwärmung“. Die Sorge um die Umwelt ließ Bürgerinitiativen entstehen und brachte die Grünen 1986 ins österreichische Parlament: „Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch“, lautete einer ihrer Slogans. 23 Jahre später geht es beiden recht gut. Der saure Regen ist ein Relikt aus den 1980ern, wie lange Haare und Schulterpolster. In Österreich gibt es laut einer aktuellen Untersuchung mehr Wald als je zuvor, und Josef Pröll warnte gar 2004 als Umweltminister: „Der Wald wächst uns über den Kopf.“ Was also wurde aus dem Waldsterben?

„Etwas übertrieben.“ „Vielleicht haben wir damals ein wenig übertrieben“, meint Klemens Schadauer, Leiter des Instituts für Waldinventur in Wien. „Dem Wald ist es in den 1980er-Jahren sicher nicht sehr gut gegangen. Aber flächendeckend wäre er nicht gestorben.“ Bei den Diskussionen und Warnungen seien viele Interessen mitgeschwungen. Und wer nicht einstimmte in den Ruf der Mahner, der galt schnell als „Umweltschwein“.

„Wir wurden damals heftig kritisiert“, erinnert sich Markus Neumann vom Institut für Waldwachstum und Waldbau. Vor 25 Jahren arbeitete er in der Forstlichen Bundesversuchsanstalt, die sich mit dem Zustand der Wälder beschäftigte. Ausgerechnet diese Institution hielt sich in der Diskussion auffallend zurück. „Wir sahen die Situation nicht so dramatisch“, erklärt Neumann. Es habe zwar tatsächlich sterbende Wälder gegeben, das sei aber regional beschränkt und nicht für ganz Österreich zutreffend gewesen.

Mit Untersuchungen und Zahlen seien die Warner damals teils „sehr großzügig“ umgegangen: So habe man etwa Luftwerte aus Linz hergenommen und daraus Prognosen für das gesamte Land erstellt. Die Resultate waren entsprechend verheerend, denn in der Stadt stank kaum gefiltert die Voest vor sich hin. Ebenso habe man Schätzungen über Verunreinigungen aus dem Jahr 1980 mit Erhebungen von 1984 verglichen und die Ergebnisse hochgerechnet. „Ich unterstelle niemandem böse Absicht“, sagt Neumann. „Viele Menschen waren ernsthaft besorgt. Aber die hatten halt nicht immer sehr viel Ahnung vom Wald.“

Legendär ist beispielsweise die Aktion einer deutschen Bürgerinitiative, die wegen eines sterbenden Waldes in Bayern Alarm schlug. Die Bäume hätten alle Nadeln verloren, das sei eindeutig Folge des sauren Regens. Forscher rückten aus und fanden – Lärchen. Die verlieren im Herbst von Natur aus ihre Nadeln. Der Sorge um den Wald tat das keinen Abbruch, auch wenn man sie sich vor allem in Deutschland und Österreich machte. Die Franzosen nahmen das Schlagwort vom sterbenden Wald sogar in ihren Sprachschatz auf und spöttelten forthin über „le waldsterben“.

Wirklich massiv und großflächig geschädigt waren die Wälder im Grenzgebiet zur damaligen Tschechoslowakei. Auf diese Gegend verließen sich Medien, wenn es darum ging, das Waldsterben darzustellen. Als das deutsche Nachrichtenmagazin „Spiegel“ 1981 in einer dreiteiligen Serie den Tod des Waldes in Deutschland verkündete, stützte es die Illustrationen vornehmlich auf Fotos aus dem Erzgebirge, wo hunderte abgestorbene Fichten standen. Der Grund für die umfangreichen Schäden war einmal die ungezügelte Industrie im Ostblock, andererseits gab es aber auch banalere Ursachen: „Frostschäden und Borkenkäfer“, wie Neumann erklärt.


Schwefeldioxid massiv reduziert. Spricht man die Kämpfer von einst darauf an, reagieren sie heute säuerlich – wie etwa Gerhard Heilingbrunner, Vorsitzender des „Kuratoriums Rettet den Wald“, das seit einiger Zeit bezeichnenderweise nur noch „Kuratorium Wald“ heißt. Auf die unschuldige Frage, ob man von der Sorge um den Wald profitiert habe, reagiert er geradezu empört: Es habe sicher keinen Profit gegeben, das sei eine Unterstellung. In der Frage sei es eigentlich mehr darum gegangen, ob es der Umweltbewegung genützt habe? Ja, meint Heilingbrunner, die Diskussion habe zweifellos das Interesse an der Umwelt geweckt und dem Wald auch geholfen.

Monika Langthaler, langjährige grüne Abgeordnete und jetzt Geschäftsführerin eines Beratungsunternehmens, sieht die teils katastrophalen Vorhersagen pragmatisch: „Mein Gott, wenn ich mir die Prognosen der Wirtschaftswissenschaftler anschaue ... keine Einzige hat gehalten.“ Die Waldschäden seien damals dramatisch gewesen und die Angst war berechtigt. „Ich halte es für legitim, wenn eine politische Kraft ein solches Thema pointiert anspricht.“

„Hätte man es nicht derart intensiv diskutiert, wäre vielleicht nicht so viel passiert“, glaubt auch Norbert Putzgruber, Waldexperte bei den Bundesforsten. Erst aufgrund der heftigen Diskussion habe sich die getriebene Politik der Problematik angenommen.

Tatsächlich ist viel passiert. Man erließ strenge Emissionsvorschriften, Heizöl und Dieseltreibstoff wurden entschwefelt. Man schrieb Filter für Verbrennungsanlagen vor und erließ ein Luftreinhaltegesetz. Die Maßnahmen brachten weitreichende Erfolge: Der Ausstoß von Schwefeldioxid, das man maßgeblich für die Waldschäden verantwortlich machte, ging von etwa 350.000 Tonnen im Jahr 1980 auf 25.600 Tonnen im Jahr 2007 zurück. Maß man 1985 noch bei mehr als 25Prozent der Bäume überschrittene Schwefelgrenzwerte, war dies 2008 bei weniger als zehn Prozent der Fall.

Der saure Regen habe sich dank des Einschreitens der Politik seit den 1980er-Jahren „erheblich reduziert“, erklärt Putzgruber. Auf „eigentlich nicht mehr existent“, pflichtet Gerhard Mannsberger, Sektionschef im Umweltministerium, bei. Mittlerweile sei Österreich mit einem Waldanteil von 47,2 Prozent eines der waldreichsten Länder Europas. „Das Waldsterben aufgrund von Luftverschmutzung gibt es bei uns nicht mehr.“

Die Maßnahmen haben zweifellos der Umwelt geholfen. Dass sie ursächlich Österreichs Wälder gerettet haben, bezweifelt Skeptiker Neumann: „Es wäre sicher nicht so, dass Österreich baumlos wäre.“

Heute kämpft der Wald mit ganz anderen Problemen: Die Stürme der vergangenen Jahre, möglicherweise eine Folge der Erderwärmung, fällten hunderttausende Festmeter. Borkenkäfer breiteten sich massiv aus. Die hohe Ozonkonzentration setzt bestimmten Baumarten zu, etwa den Eichen im Weinviertel.

Und das ganz dicke Ende kommt noch. „Die Erderwärmung wird die Wälder und uns alle mit verheerenden Folgen treffen“, sagt Gerald Steindlegger vom WWF. „Dagegen war das Waldsterben eine Kleinigkeit.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2009)

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