Zwischentöne: Welcher Ton macht die Wiener Musik?

Allvater Beethoven
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Konzerte von Barbara Moser sind wichtig, denn die Pianistin bewahrt ein verloren geglaubtes Ideal, den "Wiener Ton". Man kann ihn schwer beschreiben, aber jeder kann ihn hören - zum Beispiel bei Konzerten dieser Pianistin.

Wienerische Musizierkultur, ist sie eine Schimäre? Geredet wird davon nur noch, wenn sich jemand, ganz ohne Gespür, an einem Walzer vergeht. Oder, etwas abgehobener, wenn ein Wiener Orchester uns daran erinnert, dass sich bei Hofmannsthal einer beschweren darf, wenn der Partner plötzlich exaltiert daherredet: „Ein altes Ehepaar hat doch einen Ton miteinander.“

Wir haben einen „Ton“, nicht nur mit Mozart und Schubert, sondern, weil wir ihn eingemeindet haben, auch mit dem vormals norddeutschen Brahms. Wir hätten einen Ton, besser gesagt, denn er scheint mehr und mehr verwässert durch jene einförmige Globalisierungsharmonie, die zwischen Los Angeles und Tokio alles gleich klingen lässt.

Federführende Philharmoniker verstehen zum Beispiel nicht mehr, wenn man hinterfragt, wie sinnvoll es ist, wenn sie auf Tourneen Chopin-Klavierkonzerte mit einem asiatischen Schnellspieler mitnehmen.

Die Gegenfrage, was man sonst gern exportieren möchte, hat jüngst Barbara Moser im Musikverein beantwortet. Sie spielte, apropos Virtuosität, unter anderem Liszt-Arrangements von Bellini-Opernfragmenten – mit einer technischen Souveränität, wie sie hierzulande nicht einmal einer Handvoll Pianisten zu Gebote steht: Auf dem Höhepunkt der „Sonnambula“-Paraphrase erklangen zwei Melodien gleichzeitig, ohne ihr jeweils eigenes Melos einzubüßen, darüber noch Triller und sonstige Klangkonfetti ausgestreut, während Bass samt Begleitung ihre Stütz- und Stimmungsfunktion erfüllten.

Solches zu können, das ist die Kür. Die Pflicht – und an der hapert es zumeist – ist bei Barbara Moser in allerbesten Händen. Ihr Programm – „Fünf Generationen“ – führte die romantische Klaviertigerei auf die Grundfesten Haydn und Beethoven zurück, um über eine illustrative Kuriosität von Beethovens Schüler Czerny zu dessen Adlatus Liszt (und wiederum dessen Schülerin Pauline Viardot) zu gelangen.

Und - abgesehen von aller stupenden Virtuosität angesichts schwierigster technischer Herausforderungen - wie die Sonaten der beiden Klassiker klangen, das machte den Kenner an diesem Abend wirklich staunen! Weil besagter „Tonfall“ endlich wieder im vertrauten, nicht durch zahllose Synchronisierungen verfremdeten Duktus zu vernehmen war, weil nichts vernebelt, nichts gekünstelt, sondern klar und schnörkellos formuliert wurde, weil Reprisen nicht tumbe Wiederholungen waren, sondern die Musik – nach Alban Bergs sensiblem Diktum – „ein Schicksal erlitten“ hatte. All das kann Barbara Moser und ist für mich deshalb eine der wichtigsten Pianistinnen unserer Zeit, denn sie bewahrt längst Verlorengeglaubtes – in einer Zeit, in der es kaum mehr gewürdigt wird; wenn auch die deutliche Sympathiebezeugung des Publikums erweist, dass das musikalische Wiener Selbstbewusstsein noch nicht ganz verloren ist.


wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2009)


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