Die britische Premierministerin May darf die Regierung führen, aber die Richtung versuchen andere zu bestimmen. Während die Regierungschefin einen harten Brexit propagiert, werden die Rufe nach einem weichen Austritt immer lauter.
London. Wenn „multitasking“ bisher nicht als die größte Stärke der britischen Premierministerin Theresa May galt, so ist dieses Talent dieser Tage umso mehr gefragt. Bevor sie gestern, Dienstag, in London in Gesprächen mit der Chefin der nordirischen DUP, Arlene Foster, die Unterstützung für ihre Minderheitsregierung absicherte, musste May den Abgeordneten ihrer konservativen Partei Abbitte für die Wahlschlappe leisten: „Ich habe uns in diese Schwierigkeiten gebracht, ich werde uns wieder herausbringen“, versprach sie. Sie verfehlte dabei nicht, Eindruck zu machen: „Wenn sie so im Wahlkampf aufgetreten wäre, hätten wir ganz anders abgeschnitten“, sagte danach ein Tory-Mandatar.
Derartig beschäftigt mit dem Absichern ihrer Regierung, die in Zukunft selbst mit Hilfe der DUP nur eine Mehrheit von zwei Stimmen im Unterhaus haben wird, hat May offensichtlich die Kontrolle über die politische Agenda verloren. Während sie seit ihrer Amtsübernahme im Juli 2016 den Kurs eines harten Brexit verfolgt hatte, gewinnen nun die Befürworter eines sanften Austritts scheinbar die Oberhand. Beispiellos und daher besonders bemerkenswert ist, dass darüber offenbar bereits Gespräche über die Parteigrenzen hinweg im Gange sind.
So bestätigte gestern der als Umweltminister in die Regierung zurückgekehrte Michael Gove: „Natürlich spreche ich mit Politikern aller Parteien, um sicherzustellen, dass wir den richtigen Weg wählen. Darum geht es letztlich, wenn man im nationalen Interesse regiert.“ Gove war im Vorjahr einer der drei Hauptprotagonisten des Brexit-Lagers gewesen und hatte den Austritt aus der EU wiederholt als Schicksalsfrage für sein Land bezeichnet. Nun erklärte er: „Wir müssen anerkennen, dass wir keine absolute Mehrheit haben und müssen daher den größtmöglichen Konsens finden.“
Schluss mit „dem Mist“
Diese Schalmeienklänge der Konservativen – in die auch andere Parteigranden wie etwa der frühere Parteichef und Außenminister William Hague einstimmten –, wurden von der oppositionellen Labour Party halb geschmeichelt, halb wohlwollend aufgenommen. Die frühere Innenministerin Yvette Cooper, die dieser Tage emsig ihr politisches Comeback vorbereitet, erklärte: „Es liegt weder Stärke noch Stabilität in einem engen Bunkerzugang einer Partei. Wir müssen Menschen mit unterschiedlichen Ideen ernstnehmen, um den bestmöglichen Deal zu bekommen.“ Die einflussreiche ehemalige Labour-Vizechefin Harriet Harman sagte: „Es liegt im nationalen Interesse, dass wir den Mist stoppen, den die Tories bisher gebaut haben.“
Das aktive Werben um die Opposition steht im Gegensatz zur bisherigen Position Mays. Auch Überlegungen, wie sie nun etwa von Hague geäußert wurden, wie Großbritannien trotz Brexit im Binnenmarkt bleiben könnte, widersprechen ihrer Analyse des Brexit, die einem Ende der Einwanderung absolute Priorität zuschrieb. Hague forderte von der Londoner Regierung Beweglichkeit und zitierte Napoleons Doktrin: „Die Seite, die in ihrer Festung bleibt, wird geschlagen werden.“
In Londoner Politikkreisen werden nun wieder die Beispiele Schweiz und Norwegen als mögliche Muster des künftigen Verhältnisses Großbritanniens zur EU aus den Schubladen geholt. Insbesondere die Wirtschaft, die monatelang bei May kein Gehör gefunden hatte, macht Druck. „Es gibt viele Wege, unser künftiges Verhältnis zu gestalten“, sagte Terry Scouler, der Direktor des Unternehmerverbands EEF. „Für uns bedeutet es, dass wir den Zugang zum Binnenmarkt und einer künftigen Form von Zollunion in den Mittelpunkt unserer Strategie rücken.“
Konsens ist populär
Das Zugehen auf Labour kann den Konservativen aber auch innenpolitisch nützen. Nicht nur erklärten gestern in einer Umfrage 52 Prozent der Briten, dass sie eine Konsensposition in den Brexit-Verhandlungen bevorzugen. Eine Umarmung der Opposition wird auch in Kürze zeigen, dass Labour in der Frage weiter keine klare Position hat. Einigkeit besteht, dass der Brexit als endgültige Entscheidung akzeptiert wird. Über die Ausgestaltung sprach Parteichef Jeremy Corbyn zuletzt in einem BBC-Interview dreimal von einem „Jobs First Brexit“. Was das bedeutet, blieb vorerst unerklärt.
Viel Zeit bleibt den Briten zur Klärung ihrer Position aber nicht. EU-Verhandler Michel Barnier drängte gestern vor den am Montag beginnenden Brexit-Gesprächen auf Eile: „Ich kann schließlich nicht mit mir selbst verhandeln.“
Auf einen Blick
Regierungschefin Theresa May traf die Chefin der nordirischen DUP, Arlene Foster, um Unterstützung für ihre Minderheitsregierung abzusichern. Gleichzeitig steigt der Druck auf die Premierministerin, vom Kurs eines harten Brexits abzuweichen und einen sanften Austritt anzustreben. Darüber gibt es bereits parteiübergreifende Gespräche.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2017)