Helmut Kohl: „Der richtige Mann zur richtigen Zeit“

Aus dem Archiv: Bundeskanzler Helmut Kohl winkt auf einer Wahlkampfveranstaltung in der DDR der jubelnden Menge zu.
Aus dem Archiv: Bundeskanzler Helmut Kohl winkt auf einer Wahlkampfveranstaltung in der DDR der jubelnden Menge zu.imago/photothek
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Deutschland und die Welt würdigten den verstorbenen „Kanzler der Einheit“.

Im Velodrom in Berlin ging am Freitagnachmittag gerade der Auftakt zum Parteitag der Grünen über die Bühne, der eine Aufbruchsstimmung für die kriselnde Öko-Partei vermitteln sollte. Da platzte eine Todesnachricht hinein, auf die Deutschland seit Jahren gefasst war: Die Nachrufe und Sondersendungen zu Helmut Kohl waren längst fertiggestellt. Dass die „Bild“-Zeitung als erste das Ableben des Altkanzlers meldete, war kein Zufall. Mit Ex-Chefredakteur Kai Diekmann verband Kohl ein Naheverhältnis. Er galt als Vertrauter des von seiner zweiten Frau Maike rigoros abgeschirmten Staatsmanns, und er fungierte auch als Trauzeuge.

Helmut Kohls letzte Jahre waren gezeichnet von Krankheit und privaten Tragödien. Nach einem Sturz in seinem Haus in Oggersheim in Rheinland-Pfalz 2008, von dem er sich nie mehr erholen sollte, verschlechterte sich die Gesundheit Kohls sukzessive. Er trat nur noch selten in der Öffentlichkeit auf, an den Rollstuhl gefesselt und mit brüchiger Stimme, bis er sich kaum mehr artikulieren konnte. Immer wieder begab er sich nach einem Schlaganfall wochenlang in Spitalsbehandlung. Doch er hing am Leben – bis er Freitagvormittag um 9 Uhr 15, wie Diekmann mitteilte, den letzten Atemzug tat. Am Abend lagen dann Blumengebinde vor dem schlichten Bungalow, in dem er so oft - von Mitterrand über Gorbatschow bis Bill Clinton - Staatsgäste bewirtete hatte: „Danke für Ihr Lebenswerk“, stand auf einer Botschaft.

Gespenstischer Auftritt

Für Schlagzeilen sorgte im Vorjahr der Gerichtsstreit um die Rechte an den Tonbändern mit seinem Biografen Heribert Schwan, der mit einer Schadensersatzzahlung von einer Million Euro an Kohl endete. Gespenstisch war schließlich der Besuch Viktor Orbáns bei seinem Idol Kohl in Oggersheim im vorigen Frühjahr, als sich der ungarische Premier als legitimer Erbe der konservativen Galionsfigur inszenierte und Helmut Kohl als stummer Zeuge mit erstarrter Miene danebensaß. Der Auftritt sollte die Willkommenskultur Angela Merkels konterkarieren.

Verstörend war nicht zuletzt auch die Entfremdung von seinen Söhnen Walter und Peter, den Kindern aus seiner Ehe mit Hannelore, die 2001 wohl wegen einer unheilbaren Lichtallergie Suizid begangen hatte. Er lud sie nicht zur Hochzeit, brach den Kontakt ab. Walter erfuhr im Autoradio vom Tod des Vaters und eilte umgehend an dessen Totenbett. Die Versöhnung kam nicht mehr zustande.

Aus der CDU-Zentrale im Berliner Konrad-Adenauer-Haus verlautete via Twitter zunächst nur: „Wir trauern.“ Angela Merkel war gerade in Rom gelandet, wo sie Papst Franziskus am Samstag zu eine Audienz treffen sollte. Die Kanzlerin erbat sich vorerst noch ein wenig Zeit für eine Stellungnahme. Währenddessen trafen aus Deutschland und aller Welt Beileidsbekundungen ein – von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundestagspräsident Norbert Lammert abwärts.

In den USA reagierte – lange vor Donald Trump – Ex-Präsident George Bush sen., inzwischen 93 Jahre alt und von der Parkinson-Krankheit geschwächt, als erster auf den Tod des Langzeit-Kanzlers. Kohl galt ihm als einer „der größten Staatenlenker im Nachkriegs-Europa“ und nebenbei als „sehr guter Freund“. Gemeinsam mit Michail Gorbatschow zeichnete Bush verantwortlich für das Ende des Kalten Kriegs nach dem Fall der Berliner Mauer, und Bushs Eloge führte neuerlich die magischen Momente im Spätherbst 1989 vor Augen.

„Glücksfall für uns Deutsche“

Aus der SPD würdigten Ex-Kanzler Gerhard Schröder, Parteichef Martin Schulz und Außenminister Sigmar Gabriel den „großen Deutscher und Europäer“ – und das zog sich durchs gesamte politische Spektrum. Als erstes freilich blieb es dem Grünen-Chef Cem Özdemir auf offener Bühne vorbehalten, seine Parteitagsrede zu improvisieren und dem langjährigen Deus ex Machina seiner Partei Tribut zu zollen: „Sein Name wird für immer in Verbindung stehen mit einem der großartigsten Projekte der deutschen Nachkriegsgeschichte, der deutschen Wiedervereinigung. Wir verneigen uns in Respekt vor Helmut Kohl.“ Es war eine würdevolle, mit Applaus bedachte Geste auf einem Parteitag, der am Wochenende wohl aus dem Rampenlicht verschwinden wird.

In Rom war dann schließlich auch Angela Merkel an der Reihe, in der Residenz der deutschen Botschafterin - und Vertrauten - Annette Schavan jenen Mann zu preisen, der erst ihr Mentor war und den sie 1999 in der Parteispendenaffäre als Ehrenvorsitzenden der CDU vom Sockel stieß: ein Denkmalsturz, der ihre Karriere befördern sollte. „Helmut Kohl hat auch meinen Werdegang entscheidend verändert. Er ist zu einem Glücksfall für uns Deutsche geworden. Er war der richtige Mann zur richtigen Zeit.“ Es sei Zeit, innezuhalten und eines Mannes zu gedenken, der in die Geschichte eingegangen sei. Selbst ein früherer Protegé Kohls, mit dem es im Spendenskandal zum Bruch gekommen war, wollte ihm die Würdigung nicht verweigern. Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte: „Wir dürfen ihm dankbar sein.“ Sowohl Merkel als auch Schäuble zeigten sich trotz aller Differenzen berührt.

Dass die CDU am Freitag die Koalitionen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen besiegelte, die die Konservativen zurück an die Macht brachten, hätte dem Machtpolitiker Helmut Kohl gewiss gefallen. Als Ort des Staatsakts ist der Dom in Speyer im Gespräch, einer der Lieblingsorte Kohls. Dies wäre ganz nach seinem Geschmack.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.6.2017)

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