Medien als Lügendetektor der Politik

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Vertrauensverlust versus Nachrichtenboom: Was das für den Journalismus als „vierte Macht“ im Staat und die Demokratie generell bedeutet, und wo Experten die Gefahren einer desinformierten Gesellschaft sehen.

Wien. „Wir leben in einer Phase verstärkten gesellschaftlichen Wandels: Wachsende soziale Klüfte, neue Sicherheitsrisken und die steigende Komplexität und Unübersichtlichkeit politischer, ökonomischer, ökologischer und kultureller Zusammenhänge führen zu Verunsicherung und zu dem Eindruck, dass die Institutionen, darunter die Medien, den Anforderungen nicht gewachsen sind.“

Uwe Hasebrink, Direktor des Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung an der Universität Hamburg, erklärt so die allgemeine Vertrauenskrise. In diesem Gemenge erleben die klassischen Medien vor allem bei denjenigen einen Vertrauensverlust, „die sich benachteiligt und ausgegrenzt fühlen und Medien vorwerfen, dass sie allein die Perspektive des Establishments abbilden“, erklärt der Sozialpsychologe. Das und die zunehmende Zahl an Menschen, die sich in digitalen Netzwerken informieren, trägt dazu bei, dass traditionelle Medien als „Auslaufmodell“ wahrgenommen werden.

Die Statistik spricht für Österreich (noch) eine andere Sprache: Laut Reuters Institute Digital News Report 2016 nutzen 91,4 Prozent aller Befragten traditionelle Medien. 68,2 Prozent sehen darin ihre hauptsächliche Nachrichtenquelle. Jeder Zweite informiert sich bereits regelmäßig mittels sozialer Netzwerke und Blogs. Punkto Vertrauen weist dieser Report düstere Ergebnisse aus: 47,7 Prozent der über 55-Jährigen gaben an, man könne den meisten Nachrichtenorganisationen vertrauen. Das ist weniger als die Hälfte. Die Gruppe der 18- bis 24-jährigen Österreicher ist skeptischer: 35,2 Prozent, also ein gutes Drittel, vertrauen den Inhalten von Fernsehen, Zeitungen und Radio.

Bedrohlicher Mix

Ein bedrohlicher Mix, der dazu führen könne, dass sich „Menschen dauerhaft aus den demokratischen Institutionen und Meinungsbildungsprozessen ausklinken“ und sich in eine Parallelwelt zurückziehen. „In Österreich kann nicht von einer Vertrauenskrise die Rede sein, wohl von Vertrauensverlust“, so Josef Trappel. Der Professor für Medienpolitik und Medienökonomie leitet den Fachbereich Kommunikationswissenschaft an der Uni Salzburg und sieht zwei Ursachen, eine hätten klassische Medien zu verantworten: „Ausgedünnte Redaktionen, lückenhafte Faktenprüfung, überdrehte Hektik als Reaktion auf Wettbewerbs- und Zeitdruck und schlicht zu wenig Geld für sorgfältige Recherchen untergraben das Vertrauen.“ Die andere Ursache ortet Trappel in der Hysterie in sozialen Netzwerken. „Die dort herrschende Beliebigkeit im Umgang mit der Wahrheit färbt auf die klassischen Medien ab.“

Die gute Nachricht

Die gute Nachricht: „Diese ungebremsten Nachrichtenschleudern stellen eine Chance für die klassische redaktionelle Arbeit dar – als Gewähr für sorgfältigen Journalismus“, sagt Trappel. Viele wissen klassischen Journalismus mehr denn je zu schätzen. In den USA beschert Donald Trump angesehenen Medien einen Höhenflug, der sich in Traumquoten und Abo-Rekorden messen lässt. Zeitungen und Fernsehsender sind, so ironisch das klingen mag, Trump-Profiteure. Unablässig fungieren sie als Lügendetektor seiner Politik.

Laut einer Studie der Universität Stanford können 82 Prozent aller Schüler in US-amerikanischen Middle Schools nicht zwischen redaktionellen Inhalten und bezahlten Werbetexten oder Fake-Nachrichten unterscheiden. Die große Gefahr sieht Trappel darin, dass Desinformation die Informationsungleichheit weiter verstärkt. „Bleiben geprüfte und belastbare Informationen einer Elite vorbehalten und müssen sich andere mit Halbwahrheiten zufriedengeben, geht der Zusammenhalt verloren. Eine solche Informationskluft wäre für demokratisch organisierte Gesellschaften höchst unerwünscht“, erläutert der Medienpolitikexperte.

Die These einer zunehmend desinformierten Gesellschaft teilt Hasebrink nicht. „Was wir beobachten können, sind sehr weit auseinanderklaffende Informationsrepertoires.“ Was bedeutet das nun für die Medien und ihren Ruf als „vierte Macht“ oder „vierte Gewalt“, als essenzielle Säule der Demokratie? „Nicht ihr Ruf ist das Problem, sondern ihre Leistungen“, sagt Trappel.

Medien hätten gerade jetzt zwei wichtige Rollen in einer auf Entscheidungsaushandlung gegründeten demokratischen Gesellschaft: Erstens müssen die Betroffenen die Möglichkeit haben, an diesem Prozess teilzunehmen. Das geht aber nur auf der Grundlage verlässlicher Informationen. Zweitens ziehen Medien die Entscheidungsträger stellvertretend zur Verantwortung. Können Redaktionen diese Leistung nicht mehr erbringen, fallen Entscheidungen aufgrund weniger demokratischer Verfahren.

„Moderne Demokratien sind auf die Öffentlichkeit als vierte Gewalt angewiesen“, betont Hasebrink. „Klassische Medien haben zwar ihre Monopolstellung verloren, das heißt aber nicht, dass sie an Bedeutung verloren hätten“, sagt Hasebrink.

Wo müssten Medien ansetzen, um die Kluft in der Gesellschaft wieder zu kitten? Hasebrink: „Beim professionellen Journalismus.“ Der sei nämlich kein Auslaufmodell.

Serie: #RESPEKT

Die Serie #RESPEKT ist eine Zusammenarbeit der „Presse“ mit den Bundesländerzeitungen „Kleine Zeitung“, „Oberösterreichische Nachrichten“, „Salzburger Nachrichten“, „Tiroler Tageszeitung“ und „Vorarlberger Nachrichten“. Analysen und Interviews widmen sich den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Kommunikation. Dabei werden Themenbereiche wie Hass im Netz, Desinformation sowie Fake News erschlossen.

diepresse.com/respekt

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2017)

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