Während EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos dem Vorschlag von Außenminister Sebastian Kurz eine Absage erteilte, geht er den Freiheitlichen um Parteichef Heinz-Christian Strache nicht weit genug.
Wien. Der Streit zwischen Kanzler Christian Kern und Außenminister Sebastian Kurz um eine Schließung der Mittelmeerroute wurde am Dienstag fortgesetzt. Erstmals gab es eine Reaktion aus Brüssel. EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos wies die Forderungen von Kurz indirekt zurück: Die Lage sei nicht mit der Balkanroute vergleichbar.
Flüchtlingszahlen über die Mittelmeerroute könnten über den Sommer zwar steigen, die EU sei aber besser vorbereitet als vor zwei Jahren. So habe man begonnen, die Ursachen für Migrationsströme anzugehen. Außerdem sei es gelungen, Schlepper-Netzwerke zu zerstören. Bundespräsident Alexander Van der Bellen wollte zwar weder für Kern noch für Kurz Partei ergreifen, machte aber deutlich, dass er die Schließung der Mittelmeerroute bzw. die Rückstellung aufgegriffener Flüchtlinge nach Nordafrika für nicht leicht umsetzbar hält. „Wünschen kann ich mir viel“, sagte er am Montagabend in der „ZiB2“. Sinnvoller wäre es, wenn man die Migrationsursachen in den Herkunftsländern untersuche und versuche, mit diesen Regierungen Maßnahmen zu ergreifen, um die Abwanderung zu stoppen.
Für Kurz in die Bresche sprangen Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) sowie die dem Außenministerium unterstellte Agentur für Entwicklungszusammenarbeit. Platter verlangt, dass die EU-Kommission die Schließung der Mittelmeerroute auf ihre Agenda nimmt. Der Geschäftsführer der Austrian Development Agency (ADA), Martin Ledolter, meinte: Nötig sei „die ausreichende Versorgung von Menschen auf der Flucht bereits an den Außengrenzen der EU und noch bevor sie in ein Boot steigen, die Einrichtung von Asylzentren in sicheren Drittstaaten und natürlich mehr Hilfe vor Ort.“
Andere Experten äußerten sich skeptisch über Kurz' Vorschlag. „An diesem Plan ist alles unrealistisch“, sagte Gerald Knaus, der Leiter des Think Tanks „Europäische Stabilitätsinitiative“, dem „Standard“. Die nordafrikanischen Staaten seien weder willens noch in der Lage, Auffanglager für die EU zu unterhalten. Auch die Rückführung in die Heimatländer aus diesen Lagern hält Knaus für eine Illusion: „Wie soll ein nordafrikanischer Staat etwas schaffen, was Deutschland, Österreich oder Schweden nicht gelingt?“ Der Migrationsexperte Belachew Gebrewold von der Uni Innsbruck schlug regionale Schutzzentren in der Nähe von afrikanischen Konfliktgebieten vor.
FPÖ will Asyl-Sondersteuer
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ging inzwischen einen Schritt weiter als Kurz: Asyl solle es nur noch „auf dem Kontinent geben, von dem die Migranten stammen“. Außerdem will die FPÖ, dass Asylberechtigte, die einen Job finden, „zusätzlich zu den regulären Steuern eine Sondersteuer von zehn Prozent ihres Einkommens entrichten.“ Ein Antrag wurde bereits Ende April im Parlament eingebracht. (APA/red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2017)