Stadtflucht

Sommerspaziergang durch Marillengärten

Der Blick belohnt die Mühe:Wanderer schauen zwischen Marillenbäumen auf das Benediktinerkloster Göttweig.
Der Blick belohnt die Mühe:Wanderer schauen zwischen Marillenbäumen auf das Benediktinerkloster Göttweig.(c) Alice Grancy
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Nur eine knappe Autostunde westlich von Wien entfernt, führt der Marillenerlebnisweg vom niederösterreichischen Krems-Angern aus durch Obst- und Weingärten. Und eröffnet dem Wanderer mehrfach eine großartige Aussicht auf das Stift Göttweig. Dieser kann sich anschließend mit hausgemachten Marillenknödeln verköstigen.

Der Blick lohnt gleich nach dem ersten Anstieg. Wer die anfänglichen Meter Höhenunterschied erklommen hat, schaut über in der Sonne grün leuchtende Weingärten auf das weite Tal. Der südlich der Donau startende Marillenwanderweg vermittelt von Anfang ein Gefühl der Gastfreundschaft. So laden hier etwa drei dunkelblau-gelb-grün-gestreifte Liegestühle zum Verweilen ein. Wir nehmen gern Platz und strecken die Beine aus. Damit prägt von Anfang an die Gemütlichkeit und weniger der Sportsgeist den Spaziergang durch das hügelige Kremstal.

Nur wenige Meter weiter erkennt man erstmals das Stift Göttweig. Der prächtige Barockbau thront über der Landschaft; der in fünf Stationen angelegte Rundweg führt in einem sanften Bogen auf ihn zu und in einer Schleife wieder retour. Ihren Anfang nimmt die Wanderung am rechten Donauufer beim Weingasthof Aufreiter in der Dorfstraße in Krems-Angern. Die Familie lädt von dort aus zu einem Spaziergang über ihre Grundstücke zwischen Marillenbäumen und Weinstöcken. Hier gibt es Parkplätze, sowohl für Autofahrer als auch für Radler.

Laut im Gasthaus abzuholendem Informationsfolder überwindet man am Wanderweg eine Seehöhe von 120 Metern. Diese ist allerdings nur anfangs zu spüren; dann gestaltet sich der Weg abwechslungsreich und ist einfach zu gehen. Die auch für sportliche Kinderwagen geeignete Strecke kennt kaum Asphalt; meist führt sie den Wanderer auf weichen Wiesenböden durch die Landschaft.


Hier wohnt das Ziesel.
Das größte Risiko, aber wohl keine echte Gefahr, geht von den Löchern der Ziesel aus; die kleinen Nager graben ihre Bauten in den Boden. Wo das Gras höher ist, sind sie mitunter schwer erkennbar. Gezeigt hat sich zwar keines der Tiere, dafür kreuzt schon einmal ein Reh den Weg. Und Falken und andere größere Raubvögel kreisen fast ständig über den Köpfen der Wanderer, die die Flora der Region bestaunen.

Derzeit biegen sich die Kirschbäume unter der Last der reifen Früchte. Die Weinstöcke treiben noch kräftig aus: Die Blätter sprießen in kräftigem Grün; die Reben wirken fast noch wie Blüten, die Trauben formen sich erst aus winzigen Perlen. Links und rechts vom Wegrand lugt immer wieder knallroter Klatschmohn zwischen grünen Gräsern hervor, dann ziehen leuchtend orange Lilien die Blicke auf sich.

Und plötzlich bemerken wir, dass wir mittlerweile neben, teils recht groß gewachsenen, wohl sehr alten, Marillenbäumen spazieren. Wir sind angekommen, im Reich der Marillen. Sie hängen – wenn auch noch klein und grün, mitunter bereits mit zart gelben Bäckchen – zu Zigtausenden an den Bäumen. Wir wandern zwischen den Saisonen. Die Blüte ist im April und bietet wohl einen großartigen Augenschmaus; die Früchte reifen noch heran. Die Ernte beginnt im Juli und dauert bis Anfang August.

Dann sammeln die Marillenbauern die zart orangen Früchte tonnenweise. Sie klauben sie noch immer händisch, um das weiche, für eine für die maschinelle Ernte zu empfindliche Obst zu schützen. Einst verwendete man dazu sogenannte Zistel, handgeflochtene, spitz geformte Körbe. Heute legt man die Marillen direkt in stapelbare Kisten. Schüttelt man die Früchte vom Baum, muss man sie sofort verarbeiten: Sie werden gewaschen, entkernt und püriert und beispielsweise zu Nektar oder Marmelade verarbeitet.



In der Holzhängematte rasten. Bei einer weiteren Station lernt der Wanderer, dass man auch in einer hölzernen Hängematte gemütlich liegt. Beim sanften Schaukeln unter dem Obstbaum lässt sich wiederum die Landschaft entdecken, auch hier hat man einen großartigen Ausblick. Außerdem kühlt der Schatten angenehm; wer es sich aussuchen kann, begeht den Weg im Sommer wohl am besten am frühen Vor- oder späteren Nachmittag, mittags ist man der Sonne immer wieder schonungslos ausgesetzt. Daher sind wir wohl auch kaum jemandem begegnet, wir haben lediglich zwei Radfahrer getroffen. Plätze zum Rasten gibt es unterwegs aber genug – an die bunten Sessel haben wir uns jedenfalls gern gewöhnt. Beim Ausruhen übersieht man fast die Infotafeln zu Natur und Umgebung, die bei jeder Station stehen.

Die Strecke ist großteils gut ausgeschildert; die orangen Hinweisschilder wecken ohnehin intuitiv Assoziationen an Marillen. (Einzig: Wer nach Station drei nach mehreren Kirschbäumen ratlos an einer schmalen Straße steht, gehe nach links, kurz darauf kommt der nächste Wegweiser.) Markierungen anderer Wanderwege, etwa den Bergwerkgedenkweg, der an die fast vergessene Bedeutung der Gegend der Gewinnung von Bodenschätzen in den vergangenen Jahrhunderten erinnern soll – lassen vermuten, dass es hier noch weitere, lohnende Wanderungen gibt.

Die ersten Früchte.
Die vielen, üppig beladenen Nussbäume fallen auf, sie versprechen eine reiche Ernte für den Herbst. Prächtige, rund einen Meter hohe Königskerzen säumen den Weg, als wir uns schließlich ein letztes Mal dem Stift Göttweig nähern.

Kurz darauf geht es nach rechts, die verwaiste, schmale Straße fällt langsam ab, es geht wieder retour. Noch beeindruckt von der Natur, kommen wir zu den ersten Häusern. Vor einem Weingut hat sich eine Handvoll Winzer und Obstbauern aus der Region versammelt. Wir grüßen – und haben Glück: Sie bieten uns, den völlig Fremden, Marillen zum Kosten an: Tsunami heißt die Sorte, sie ist die früheste, die reift, erklärt uns der stolze Marillenbauer. Nein, kaufen könne man sie nicht. Man freue sich eben gerade über die ersten Früchte. Dann lädt er uns noch spontan ein, seinen neu renovierten Keller zu besichtigen. Er zeigt uns das mehrere Jahrhunderte alte, in der Hitze angenehm kühlende Gemäuer. Und schenkt uns zum Abschied noch ein paar Marillen.

Vorbei am Schloss.
Bei der letzten Station ruhen wir uns noch einmal – erraten – auf den im Schatten der Obstbäume bereit gestellten Liegestühlen aus. Wir sind gestärkt. Wer wollte, könnte auf den zwei Picknicktischen daneben aber auch gut jausnen. Dann geht es, vorbei am auf einer Terrasse über der Donau liegenden Schloss Wolfsberg, die letzten Meter etwas steiler abwärts.

Schließlich stehen wir wieder auf der Dorfstraße und wissen: Der Marillenwanderweg ist kein Weg für Hektiker, eher für Genießer. Flotte Wanderer gehen ihn in ein bis eineinhalb Stunden, gemütliche Spaziergänger in eineinhalb bis zwei Stunden, heißt es im eingangs eingesammelten Infofolder. Wir haben die Gemütlichkeit, so scheint's, perfektioniert – und für das gerade einmal 4,5 Kilometer lange Wegstück rund drei Stunden gebraucht.

Jedenfalls sind wir sicher, dass wir den Heimweg erst nach einer Portion Marillenknödel und einer Marillenschaumtorte im Weinhof antreten wollen. Wer danach nicht mehr weg will, kann hier übrigens auch nächtigen.

Marillenweg

Der Wanderweg führt ab Krems-Angern über rund 4,5 Kilometer durch Obst- und Weingärten. Die Gegend ist hügelig, die Wege aber gut zu begehen; meist spaziert man auf weichem Wiesenboden.

Am Schönsten ist es von März bis Oktober, meinen die Betreiber: Im April blühen die Marillen, von Juli bis Anfang August werden die Früchte – nach wie vor in Handarbeit – geerntet.

Die Strecke und nähere Informationen dazu sind online unter www.marillenweg.at zu finden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2017)

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