Warum die SPD nun den Schröder versucht

APA/AFP/SASCHA SCHUERMANN
  • Drucken

Die in Umfragen arg gebeutelten Sozialdemokraten sprechen sich auf ihrem Parteitag Mut zu. „Noch ist nichts entschieden“, sagt Altkanzler Gerhard Schröder. Der Ton wird rauer, Schulz wirft Merkel „Anschlag auf Demokratie“ vor.

Der Mann mit dem pomadigen, gescheitelten Haar setzt sich die Brille auf und liest den knapp 6000 Genossen ein paar Überschriften vor: „Die Sozialdemokraten haben keine Chance“ zum Beispiel. Sie würden das „schlechteste Ergebnis ihrer Parteigeschichte“ einfahren. Die Zeilen stammen aus 2005, und der Mann, der sie vorträgt, war damals SPD-Kanzler. Am Ende hatten seine Sozialdemokraten „in wenigen Wochen“ 20 Prozentpunkte auf die Union aufgeholt. „Was damals ging, geht heute auch“, ruft Gerhard Schröder den Genossen zu.

Wobei seine SPD 2005 am Ende verloren hat, aber eben hauchdünn statt haushoch. Der gestrige Parteitag der SPD sollte nun das Fanal für eine ähnliche Aufholjagd im Jahr 2017 sein. Also kam Schröder als Mutmacher, der Sätze sagte wie: „Nichts ist entschieden!“ Das neue SPD-Programm hat der Altkanzler indes noch nicht vollständig gelesen, wie er schmunzelnd sagte – keine Zeit. Schon vor dem Auftritt des 73-Jährigen hallen Durchhalteparolen durch die Westfalenhalle in Dortmund. „Alles auf Start“, singt die Stimme aus dem Lautsprecher, die „zweite Halbzeit“ habe begonnen, sagt SPD-Vizechefin Manuela Schwesig. Man müsse nun „kämpfen, kämpfen, kämpfen“ für einen Kanzler Martin Schulz. Es wird schwierig. Am selben Tag kursiert eine neue Umfrage, wonach die Union den Abstand zur SPD auf 15 Prozentpunkte vergrößert hat. So war das alles nicht geplant.

Schröder als Mutmacher

Eigentlich hätten sie hier auf dem Parteitag in Dortmund, Nordrhein-Westfalen (NRW) die gute Stimmung nach dem erwarteten Sieg bei der Landtagswahl im Mai anzapfen wollen. Stattdessen wird in diesen Tagen eine schwarz-gelbe Regierung besiegelt – hier, in NRW, in der „Herzkammer der Sozialdemokratie“.

Zumindest in der alten Arbeiterstadt Dortmund mit ihren immer roten Oberbürgermeistern ist die Welt noch in Ordnung. Es sei „die heimliche Hauptstadt der SPD“ hatte Willy Brandt einmal gemeint, der erste SPD-Kanzler. Und nun sitzt hier in Dortmund der dritte und vorerst letzte SPD-Kanzler unter den Gästen. Auf dem Parteitag im März fehlte Schröder noch. Damals hatte Schulz, persönlich mit dem Altkanzler befreundet, von Fehlern bei dessen „Agenda 2010“ gesprochen. Aber inzwischen rückte die SPD wieder Richtung Mitte. Die SPD will neben niedrigen auch mittlere Einkommen steuerlich entlasten. Spitzenverdiener sollen zwar zur Kasse geben werden. Auf die Forderung nach einer Vermögensteuer verzichtet man aber, auch wenn darüber gestern ein paar Jusos grummelten.

„Nein gilt Aufrüstungswahn“

Und nun gibt auch noch Schröder den Einpeitscher, der wegen „Hartz IV“ unter den Parteilinken alles andere als wohlgelitten ist. Der Altkanzler ist zugleich der letzte lebende Sozialdemokrat, der eine Bundestagswahl gewonnen hat. Und wenn Schröder von seinem Nein zum Irakkrieg redet, dann wehen die meisten roten Fahnen, dann klatschen fast alle Genossen. Schulz will daran anknüpfen: „Mein Nein gilt dem Aufrüstungswahn von Donald Trump“, erklärt er dann. Merkels Distanzierung von Trump im Bierzelt tun sowohl Schröder als auch Schulz als unglaubwürdig ab. Er wundere sich, wer sich nun aller von Trump emanzipiere, sagte Schröder. „Ich erinnere mich immer an diejenigen, die den Amerikanern in jeden, auch in den Irak-Krieg folgen wollten.“ Eine Spitze gegen Merkel. Der 73-Jährige spricht leise ins Mikrofon, an manchen Stellen ist er kaum zu verstehen. Aber der Machtmensch ist dennoch durchzuhören: „Nur wer dieses Amt unbedingt will, der wird es auch bekommen“, rät Schröder dem neuen SPD-Chef, um dann mit einem „Venceremos“ abzutreten – „Wir werden siegen“.
Der Ton wird rauer in diesem Wahlkampf: Dass die Union noch keine Zukunftskonzepte vorgelegt habe, komme einem „Anschlag auf die Demokratie“ gleich, sagte Schulz. Merkels Partei würde mit Vorsatz fördern, dass immer weniger Menschen wählen gehen – weil eine sinkende Wahlbeteiligung zu Lasten der anderen Parteien gehe, so der SPD-Chef.

Laut wird es im Saal immer dann, wenn Schulz über Populisten herzieht, die AfD eine „NPD light“ nennt zum Beispiel. Unter den Gästen ist auch der türkische Exilant und Ex-„Cumhuriyet“-Chefredakteur Can Dündar. Noch sitzen viele seiner Kollegen in Haft: „Herr Erdoğan, geben Sie diese Leute frei“, sagt Schulz. Es gibt nun Standing Ovations. Inhaltlich bietet die knapp 80-minütige Rede kaum Neues, mit der Ausnahme, dass Schulz die „Ehe fur alle“ zur Koalitionsbedingung machte.
Am Ende gibt es „Martin, Martin“-Rufe, minutenlanges rhythmisches Klatschen. Das Wahlprogramm wird ohne Gegenstimme durchgewinkt. An der Basis funktioniert der Chef. 20.000 Neuzugänge zählt die SPD unter seiner Führung – so viele wie seit 1998, zu Beginn der Schröder-Ära, nicht mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Merkel will Vollbeschäftigung bis 2025.
Außenpolitik

Deutschland: Der neue „echte Gemeinschaftsgeist“ in der Union

Angela Merkel und Horst Seehofer versprechen „Vollbeschäftigung“ bis 2025, Steuerentlastungen und mehr Geld für Familien.
Der CDU geht es ein bisschen zu schnell. Angela Merkel hat mir ihrem Kurswechsel den Weg frei gemacht - auch für Finanzstaatssekretär Jens Spahn (li.), der für die "Ehe für alle" stimmen möchte.
Außenpolitik

Deutschland: Die "Ehe für alle" kommt am Freitag

SPD, Linke und Grüne setzten das Thema auf die Tagesordnung. Das widerstrebt selbst den Homo-Ehe-Befürwortern der Konservativen, die jedoch dafür stimmen werden.
Außenpolitik

Deutschland: Angela Merkels Eheversprechen

Die Kanzlerin macht den Weg für die „Ehe für alle“ frei, um selbst nach der Wahl einen Partner zu finden. Mit ihrem Schwenk rüttelt sie an einem ehernen Grundsatz ihrer Partei.
Auch in Deutschland könnten homosexuelle Paare bald heiraten dürfen.
Außenpolitik

Ehe für alle: Merkel bewegt sich, SPD drängt, Union bremst

Merkel hebt den Fraktionszwang der Union in der Frage auf. Die SPD will nächste Woche abstimmen. Manche Unions-Abgeordnete wollen das Thema "überhaupt nicht im Bundestag haben".
Archivbild eines Abstimmung im deutschen Bundestag in Berlin.
Außenpolitik

Wenn das Gewissen mehr wert ist als die Fraktion

Wenn die Parteichefs einen Gewissensentscheid ausrufen - so wie im deutschen Bundestag bei der Ehe für alle -, können Abstimmungen politisch entzerrt werden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.