Deutschland: Angela Merkels Eheversprechen

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Die Kanzlerin macht den Weg für die „Ehe für alle“ frei, um selbst nach der Wahl einen Partner zu finden. Mit ihrem Schwenk rüttelt sie an einem ehernen Grundsatz ihrer Partei.

Berlin. Die wohl mächtigste Frau der Welt geizt für gewöhnlich mit Einblicken in ihr Privatleben. Aber am Montagabend gab Angela Merkel in kleinen Dosen Persönliches preis. Die gleichnamige Frauenzeitschrift hatte die Kanzlerin zum „Brigitte-Talk“ eingeladen. In dem Format soll es menscheln. Und schließlich ist auch Wahlkampf.

„Seitdem auch nicht mehr über meine Haare gelästert wird, fühle ich mich wohler“, erfährt der Zuhörer daher von der zum Thema Eitelkeit befragten Kanzlerin. An anderer Stelle hadert Merkel mit ihrem Gesichtsausdruck: „Wenn ich nicht spreche, gucke ich sehr schnell gelangweilt.“ Sie sei auch nicht in der Lage, ein Pokerface aufzusetzen: „Ich hab das aufgegeben. Es ist bitter, aber ich kann's nicht.“ Gegen Ende dieses eineinhalbstündigen Geplauders über den Menschen Merkel formuliert die Kanzlerin aber einen hochpolitischen Satz, der das Tor zur „Ehe für alle“ weit aufstößt: Sie wünsche sich zu dem Thema eine Diskussion, die „eher in Richtung einer Gewissensentscheidung geht“. Übersetzt: Es soll in dieser Frage keinen Fraktionszwang geben. Und im Falle eines freien Spiels der Kräfte dürfte es eine klare Parlamentsmehrheit für die gleichgeschlechtliche Ehe geben.

In Absprache mit Seehofer

Merkel rüttelt damit auch an einer Grundposition der Union. „Die Ehe ist unser Leitbild der Gemeinschaft von Mann und Frau“, so steht es im gültigen CDU-Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2007.

Doch der Druck auf die Union war zuletzt in atemberaubendem Tempo gestiegen. Alle drei denkbaren Koalitionspartner – zuerst die Grünen, dann die FDP und schließlich die SPD – haben die „Ehe für alle“ zur Koalitionsbedingung erhoben. Das Thema drohte also zur Belastung zu werden, wenn nicht im Wahlkampf, dann bei der Partnersuche nach der Wahl. Zudem befürworten mehr als 80 Prozent der Deutschen die gleichgeschlechtliche Ehe.

Mit ihrem Plädoyer für eine Gesinnungsentscheidung versuchte Merkel Druck aus der Debatte zu nehmen – ohne dass die parteiinterne Gegnerschaft ihr Gesicht verliert. Sie kann ja mit Nein stimmen. Das ist vor allem für Horst Seehofers CSU wichtig. Merkel soll ihre neue Linie mit dem Chef im katholischen Bayern abgestimmt haben.

Die Sache hat nur einen Haken: Die Kanzlerin wollte eine solche Abstimmung im Bundestag erst in der nächsten Legislaturperiode. Sie sei bekümmert, dass diese „sehr persönliche Entscheidung“ nun Gegenstand von „plakativen Dingen“ sei, erklärte Merkel. Der bisher glücklos agierende SPD-Chef Martin Schulz setzte die Union unter Zugzwang: Die SPD wird am Freitag, in der letzten Sitzung vor der Sommerpause, eine Abstimmung über die Ehe für alle erzwingen – und zwar gegen den ausdrücklichen Willen des Koalitionspartners. Bisher hatte die SPD aus Koalitionsräson Anträge von Linken, Grünen und des Bundesrats blockiert. Nun ist Wahlkampf. Unionsfraktionschef Volker Kauder sprach von „Vertrauensbruch“.

Fraktionszwang aufgehoben

Merkel entschied am Dienstag unter Zeitdruck, den Fraktionszwang in der Frage schon jetzt aufzuheben. Ein Wagnis. Einerseits muss sie das Thema nun nicht durch den Wahlkampf schleppen. Anderseits riskiert die Kanzlerin den Krach mit einem Teil ihrer Partei. Merkel begleitet ohnehin der Vorwurf, den konservativen Flügel der CDU verkümmern zu lassen. Wobei Jens Spahn, so etwas wie der Anführer der Konservativen, zu den Befürwortern der Ehe für alle zählt. Er hat mehrfach darüber gesprochen, mit seinem Partner ein Kind adoptieren zu wollen.

2001 wurde die eingetragene Lebenspartnerschaft eingeführt und dann in immer mehr Bereichen wie dem Steuerrecht an die Ehe angeglichen. Die gemeinsame Adoption von Kindern blieb aber untersagt. Merkel hatte dies im Wahlkampf 2013 selbst mit dem Kindeswohl begründet. Das sorgte damals für Empörung. Inzwischen hatte die Kanzlerin ein „einschneidendes Erlebnis“: Am Montag erzählt sie von einem lesbischen Paar in ihrem Wahlkreis, das acht Pflegekinder habe. Wenn das Jugendamt dem Paar acht Kinder anvertraue, könne der Staat nicht mit dem Kindeswohl gegen Adoptionen argumentieren, so Merkel.

Unklare Rechtslage

Ehe für alle. Der Bundestag könnte am Freitag in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnen. Ob das Vorhaben bis zumEnde der Legislaturperiode rechtlich bindend umgesetzt wird, ist dennoch fraglich. Juristen streiten zudem, ob die „Ehe für alle“ mit dem Grundgesetz vereinbar ist oder eine Verfassungsmehrheit zu dessen Änderung nötig ist. Das letzte Wort könnte also auch in diesem Fall das Bundesverfassungsgericht haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2017)

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