Kartellurteil: EU-Rekordstrafe gegen Google

Wettbewerbskommissarin Vestager erlaubte sich am Dienstag mit den Fotografen einen kleinen Spaß.
Wettbewerbskommissarin Vestager erlaubte sich am Dienstag mit den Fotografen einen kleinen Spaß.(c) REUTERS
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Wer online Preise vergleicht, kommt am US-Riesen nicht vorbei. Doch er manipuliert die Ergebnisse, befindet Brüssel und verhängt 2,42 Milliarden Euro Strafe.

Brüssel. Die Lobbyisten von Google wussten, was auf sie zukam: zwei Stunden, ehe Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager die bisherige Rekordstrafe von 2,42 Milliarden Euro über den Internetkonzern aus dem Silicon Valley verkündete, organisierte das sonst gegenüber journalistischen Anfragen eher wortkarge Unternehmen eine Telefonkonferenz zu diesem Kartellverfahren. „Die Kommission verhält sich, als hätten wir noch das Internet des Jahres 2008“, beklagte sich Adam Cohen. „Amazon ist heute riesig in fast allen EU-Staaten, in manchen Staaten beginnt bei denen mehr als 50 Prozent des Onlineshoppings. Und das mobile Internet gab es 2008 auch noch nicht.“

Diese Vorbringen sind faktisch korrekt, doch sie betreffen die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Europäischen Kommission höchstens am Rande. Denn – und hier muss man begrifflich exakt sein – es ging den Brüsseler Wettbewerbshütern nicht darum, Google Missbrauch seiner Marktmacht beim Onlineshopping in 13 Staaten der Union (einschließlich Österreich) und des Europäischen Wirtschaftsraumes nachzuweisen. Vestagers Juristen und Ökonomen nahmen vielmehr Googles Verhalten im Bereich der Preisvergleiche im Internet unter die Lupe. Und da fanden sich offenkundig einige Belege, welche die Geldbuße von 2,42 Milliarden Euro rechtfertigen (30 Prozent der Umsätze von Google Shopping, multipliziert mit der Zahl der Jahre des Marktmissbrauchs, der 2008 begonnen haben soll). „Googles Strategie im Bereich der Preisvergleiche bestand nicht bloß darin, sein eigenes Angebot zu verbessern. Sondern es hat seine Marktmacht missbraucht“, sagte Vestager bei der Vorstellung ihres Urteils.

Google Shopping: Das ist jene Funktion des Suchmaschinengiganten, mittels derer man Preise von Gütern rasch vergleichen kann. Tippt man das gewünschte Produkt ein, spuckt die Suchmaschine eine Liste an Angeboten diverser Betreiber von Preisvergleichsplattformen aus, die angeblich nach der Zahl der Zugriffe von deren Benutzern gereiht sind. Je mehr Zugriffe, also je beliebter so ein Anbieter, desto höher schlichtet ihn Googles Algorithmus in der Liste der Suchergebnisse ein. Doch ob das wirklich stimmt, dieses Programm also gleichermaßen unparteiisch ist, weiß man nur am Firmensitz im kalifornischen Mountain View.

„Froogle funktioniert einfach nicht“

Zudem werden die Suchergebnisse von Google Shopping stets automatisch groß und prominent auf dem Bildschirm angezeigt; egal, wie stark die Benutzer dieses Programm tatsächlich benützen.

Lange Zeit ignorierten die Kunden Googles Versuche im lukrativen Markt für Preisvergleiche (die Hersteller der Produkte zahlen für diese Anzeigen). „Froogle funktioniert einfach nicht“, hieß es in einer internen E-Mail aus dem Jahr 2006 über Froogle, den ersten Versuch, sich hier zu etablieren. Zwei Jahre später traf Google in seinen europäischen Märkten eine Entscheidung, welche diesen Misserfolg beiseitewischen sollte. Fußend auf dem Quasimonopol bei allgemeinen Internetsuchen (laut Erhebung der Kommission laufen mehr als 95 Prozent aller Internetsuchen in Europa über Googles Suchmaschine), programmierte der Konzern seine Preisvergleiche so um, dass die Angebote der stärksten Rivalen bestenfalls auf der vierten Seite der Ergebnisse versteckt sind.

Obamas Glacéhandschuhe

Das hatte schwere Folgen für deren Geschäft: Laut Erhebung der Kommission stürzte die Zahl der Anfragen für gewisse Preisvergleichswebsites nach Googles Strategieänderung im Vereinten Königreich um 85 Prozent ab, in Frankreich um 80 Prozent und in Deutschland um 92 Prozent. Anders ausgedrückt: Wenn Google einen Mitbewerber aus dem Markt drängen will, braucht es bloß dafür zu sorgen, dass dessen Suchergebnisse unter „Ferner liefen“ aufscheinen.

Google erwägt eine Berufung gegen die Entscheidung. Der Fall, welcher seit dem Jahr 2010 anhängig ist und unter Vestagers Vorgänger, Joaquín Almunia, mehrmals einer gütlichen Einigung entglitt, sorgt in den USA erneut für den Vorwurf, die Wettbewerbsverfahren gegen die Giganten des Silicon Valley seien politisch motiviert. Unter Präsident Barack Obama hatte die US-Wettbewerbsbehörde dieselben Vorwürfe geprüft und verworfen. Obama selbst warf der EU vor, aus wirtschaftspolitischen Gründen gegen die amerikanische Internetbranche vorzugehen. Öffentliche Aufzeichnungen belegen, wie stark der Draht des Silicon Valley zu Obamas Regierung war. Johanna Shelton, die Washingtoner Cheflobbyistin Googles, hatte 128 Termine im Weißen Haus: mehr als jeder andere Interessenvertreter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2017)

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