Deutschland: Bundestag beschließt "Ehe für alle"

Besucher im deutschen Bundestag
Besucher im deutschen BundestagAPA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Bundeskanzlerin Angela Merkel stimmte dagegen. Aber jeder vierte Unionsabgeordnete stimmte für die gleichgeschlechtliche Ehe.

In Berlin hat der Bundestag in einer historischen Abstimmung für die "Ehe für alle" gestimmt. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in dieser Frage zuletzt Kompromissbereitschaft angedeutet hatte, stimmte dagegen. Sie meinte, es sei eine Gewissensentscheidung. Kurz nach Abstimmung sagte Merkel den anwesenden Journalisten, dass der im Gesetz verankerte Schutz der Ehe Mann und Frau betreffe. So habe sie dagegen gestimmt. Dennoch hoffe sie, dass mit der Ergebnis der Abstimmung "ein Stück gesellschaftlicher Friede" erreicht worden sei.

Bei 623 abgegebenen Stimmen sprach sich eine Mehrheit von 393 Abgeordneten für eine völlige rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare aus. 226 Abgeordnete waren dagegen, wie Bundestagpräsident Norbert Lammert (CDU) mitteilte. Es gab vier Enthaltungen.

Zuvor hatten SPD, Grüne und Linke die Abstimmung gegen den Willen von CDU/CSU durchgesetzt. Aber auch mindestens 70 Unionsabgeordnete - fast jeder Vierte - votierten am Ende für den Gesetzentwurf aus dem rot-grün dominierten Bundesrat zur Öffnung der Ehe. Bisher dürfen Homosexuelle in Deutschland eine Lebenspartnerschaft amtlich eintragen lassen, aber nicht heiraten. Der wichtigste Unterschied ist, dass Lebenspartner gemeinsam keine Kinder adoptieren dürfen. Weil die SPD den Antrag durchgeboxt hat, nannten Teile der CDU und CSU diesen Schritt einen Vertrauensbruch des Koalitionspartners. Grüne und Linke unterstützen die Ehe für alle schon lange.

Klage vor Bundesverfassungsgericht

Vor der Debatte hatte eine Mehrheit der Abgeordneten gegen den erklärten Willen der Unionsfraktion dafür votiert, die Tagesordnung entsprechend zu erweitern. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) forderte anschließend von den Abgeordneten "wechselseitigen Respekt, den beide Positionen zweifellos verdienen".

Das Nein zur Ehe für Homosexuelle galt als letzte konservative Bastion der Union. Unter Merkel als Parteivorsitzender hat die CDU schon mehrere Positionen geräumt, für die es in der Gesellschaft keine Mehrheit mehr gab wie das Festhalten an der Atomenergie und der Wehrpflicht.

Unions-Abgeordnete prüfen inzwischen eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Ehe für alle sei grundgesetzwidrig und bedürfe einer Verfassungsänderung, sagte der Justiziar der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl, der "Passauer Neuen Presse" (Freitag). "Das Bundesverfassungsgericht knüpft die Ehe an zwei Bedingungen", sagte der CSU-Politiker: "Sie ist eine dauerhafte Verantwortungsgemeinschaft. Und sie ist darauf ausgerichtet, Kinder hervorzubringen. Das geht nur mit Mann und Frau."

Justizminister Heiko Maas hält eine Grundgesetzänderung hingegen für unnötig. "Wir sehen einen Wandel des traditionellen Eheverständnisses, der angesichts der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers die Einführung der Ehe für alle verfassungsrechtlich zulässt", sagte der SPD-Politiker der "Bild"-Zeitung (Freitag). "Die Zeit ist längst mehr als reif für diesen Fortschritt."

Freude bei Aktivisten

Homosexuellenaktivisten haben die Entscheidung des Deutschen Bundestags zur Einführung der Ehe für alle begrüßt. "Endlich werden homosexuelle Paare in Deutschland gleich behandelt", erklärte der Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg, Jörg Steinert, am Freitag in Berlin.

Der Bundestagsbeschluss sei "historisch und für das Selbstverständnis von Deutschland als demokratischer Rechtsstaat bedeutsam". "Gleichgeschlechtliche Paare müssen sich nicht mehr ständig wegen Grundrechtsverletzungen an das Bundesverfassungsgericht wenden", erklärte Steinert und fügte hinzu: "Die Blockade einer reaktionären Minderheit in Gesellschaft und Parlament konnte durch eine längst überfällige Gewissensentscheidung überwunden werden."

(red./Reuters/APA)

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