Merkel gibt ihr Ja-Wort nicht

Die SPD-Granden Oppermann und Schulz schnitten sich ein Stück des Erfolgs ab.
Die SPD-Granden Oppermann und Schulz schnitten sich ein Stück des Erfolgs ab.APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Der Bundestag beschloss nach einer turbulenten Woche in der letzten Sitzung vor der Sommerpause die „Ehe für alle“. Aus der Union kam mehr Zustimmung als erwartet.

Berlin. Am Freitag gegen 9.15 Uhr fällt unter der Reichtagskuppel die letzte konservative Bastion. Bilder zeigen einen Mann mit Tränen in den Augen, der den Mann neben ihm herzt und küsst. Beide tragen ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Ehe für alle“, die der Bundestag soeben beschlossen hat.

Es ist ein historisches Votum, das in dieser Legislaturperiode vor ein paar Tagen noch niemand für möglich gehalten hat. Doch am Montagabend gab CDU-Kanzlerin Angela Merkel während einer Plauderstunde mit der Frauenzeitschrift „Brigitte“ beiläufig die Abstimmung als Gewissensfrage frei. Im Blick hatte sie indessen die Zeit nach der Bundestagswahl im Herbst. Ein geschickter Schachzug. Merkel räumte damit wieder einmal ein Thema der Konkurrenz ab.

Nur hatte die Kanzlerin übersehen, dass fertige Anträge zu dem Thema im Rechtsausschuss liegen, dass also ein Votum noch in dieser Legislaturperiode möglich ist. Und dass die nach Erfolgen lechzende SPD dafür den Koalitionspartner brüskieren würde: Eine vorübergehende rot-rot-grüne Zweckehe brachte gestern den Antrag im Bundestag ein – gegen den ausdrücklichen Willen der Union, die einen Vertrauensbruch beklagte.

Rotes Kärtchen für Merkel

Schon als der strittige Punkt Freitagfrüh auf der Tagesordnung landete, gab es Applaus und Gejohle im Sitzungssaal. „Beifallsstürme nach Geschäftsordnungsänderungen hatten wir auch selten“, kommentierte CDU-Bundestagspräsident Norbert Lammert launig. Die SPD hatte zudem eine namentliche Abstimmung erzwungen. Alle in der Union mussten nun Farbe bekennen, auch Merkel, die ein rotes Kärtchen in der Hand hielt. Sie stimmte mit Nein.

„Für mich ist die Ehe im Grundgesetz die Ehe von Mann und Frau“, erklärte die Pastorentochter. Auch die Evangelische Kirche unterstützt die Öffnung der Ehe – wie jene 75 Unionsabgeordneten, ein Viertel der Fraktion und damit weit mehr als erwartet. Das „Ja-Wort“ gaben auch Merkel-Vertraute wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen oder Kanzleramtsminister Peter Altmaier.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder hatte indes schon zuvor in der Blitzdebatte erklärt, er würde „nie etwas unterschreiben, wo Ehe für alle drinsteht“ – und zwar aus „Gewissensgründen“. Sein Parteikollege Jan-Marco Luczak beschwor dagegen auch andere Christdemokraten, die Ehe zu öffnen: „Gebt euch einen Ruck!“

„Es ist genug Ehe für alle da“, sagte auch die Grüne Katrin Göring-Eckardt und lobte das „Lebenswerk“ ihres Parteikollegen Volker Beck, des scheidenden Abgeordneten und Schwulenreferenten, der gestern am letzten Sitzungstag völlig unverhofft seinen Willen bekam – und einen Konfettiregen im Bundestag obendrauf.

Im katholischen Bayern sieht man das alles etwas anders, jedenfalls in weiten Teilen der CSU. Wobei gestern auch sieben CSU-Politiker mit Ja stimmten. Selbst CSU-Chef Horst Seehofer kann sich Volladoptionen durch homosexuelle Paare vorstellen. Auch Merkel hatte erklärt, Volladoptionen zu unterstützen. Es ist dies der letzte Punkt, in dem das Bundesverfassungsgericht die 43.000 eingetragenen Lebenspartnerschaften (Stand 2015) noch nicht an die Ehe angeglichen hat.

Die Bundestagsdebatte verlief in sachlichem, stellenweise versöhnlichem Ton. Bis zum Auftritt von Johannes Kahrs. „Erbärmlich“ und „peinlich“ nannte der homosexuelle SPD-Abgeordnete das „Herumgeschwurbel“ der Kanzlerin, die ihn kurz ansah und dann wieder den Blick nach vorn richtete. „Seit 2005 haben Sie die Diskriminierung von Lesben und Schwulen unterstützt“, brüllte Kahrs ins Mikrofon und schlug dabei immer wieder mit einer Hand gegen das Podium. Merkel habe auch nichts weiter als einen „Schabowski-Moment“ gehabt. „Vielen Dank für Nichts!“ Günter Schabowski hatte 1989 in der DDR mit ein paar ungelenken Worten zur Reisefreiheit den Mauerfall ausgelöst.

Auf der Zuschauertribüne saß der 28-jährige Ulli Köppe, der am Montagabend bei Merkels „Brigitte-Talk“ die Frage stellte: „Wann darf ich meinen Freund denn nun Ehemann nennen?“ So fing diese turbulente Woche an.

Die Gegner in der Union klammern sich indes an die zarte Hoffnung, das Gesetz könnte gegen die Verfassung verstoßen. SPD-Justizminister Heiko Maas erklärte zwar in einem Interview, der Ehebegriff des Grundgesetzes stünde „offen für einen Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse“. Allerdings hatte sein Ministerium eine Verfassungsänderung 2015 noch für nötig erachtet, erinnerte gestern CDU-Mann Kauder. Läuft alles glatt, wird frühestens im Herbst nicht mehr verpartnert, sondern geheiratet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2017)

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