Mindestlohn – aus der Not geboren

Termin eingehalten: AK-Chef Kaske, ÖGB-Präsident Foglar, Landwirtschaftskammer-Boss Schultes, Wirtschaftskammer-Chef Leitl
Termin eingehalten: AK-Chef Kaske, ÖGB-Präsident Foglar, Landwirtschaftskammer-Boss Schultes, Wirtschaftskammer-Chef LeitlAPA/HELMUT FOHRINGER
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Die Sozialpartner einigten sich auf 1500 Euro Mindestlohn bis 2020 – aus Sorge, ihre Verhandlungskompetenz bei den Löhnen zu verlieren und aus Angst vor dem freien Spiel der Kräfte.

Wien. Am Ende war es eine pragmatische Einigung – weil der ÖGB zeigen wollte, dass die Sozialpartnerschaft funktioniert und er seine Hoheit bei den Lohnverhandlungen nicht abgeben wollte. Und weil die Wirtschaftskammer aus ihrer Sicht vielleicht noch Schlimmeres verhindert hat – nämlich einen Mindestlohn von deutlich mehr als 1500 Euro, der in den aktuellen Wahlkampfzeiten und bei freiem Spiel der Kräfte durchaus möglich schien (die Grünen hatten SPÖ und FPÖ bereits mit einem Antrag im Nationalrat auf 1750 Euro Mindestlohn gelockt).

Wirklich jubiliert hat am Freitag niemand, als die Sozialpartner am letztmöglichen Termin vor die Presse traten. Bis 30. Juni hatte die Koalition, die im Jänner noch große Pläne schmiedete, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern Zeit gegeben, um beim Mindestlohn und bei der Arbeitszeitflexibilisierung eine gemeinsame Lösung zu finden. Sonst wollten SPÖ und ÖVP die beiden Themenkomplexe mit Gesetzen lösen.

Beim Mindestlohn haben sich Wirtschaftskammer, ÖGB, Arbeiterkammer und Landwirtschaftskammer geeinigt – bis 2020 sollen 1500 Euro brutto für Vollzeitbeschäftigte in allen Branchen realisiert sein. Die Arbeitszeitflexibilisierung blieb offen, zu komplex war das Thema und zu groß die Zugeständnisse (u. a. sechste Urlaubswoche für alle), die die Wirtschaft im Gegenzug für längere Tagesarbeitszeiten und einen längeren Durchrechnungszeitraum hätte machen müssen.

Evaluierung Ende 2019

Jubel also bei der Gewerkschaft, die sich durchgesetzt hat (die Wirtschaft konnte nur erreichen, dass Verwaltungsstrafen gegen Unternehmen künftig im Verhältnis zur Betriebsgröße stehen sollen)? Ein Gewerkschaftsfunktionär meinte zur „Presse“, man wolle nicht von Sieg sprechen, weil „es darum ging zu zeigen, dass wir gemeinsam etwas zustande bringen“.

Dafür hat auch der ÖGB Zugeständnisse gemacht. Es wurde kein fixer Termin für die Umsetzung des Mindestlohns genannt, sondern als Ziel Anfang 2020. Ende 2019 wolle man sich zusammensetzen und prüfen, in welchen Branchen der Mindestlohn von 1500 Euro noch nicht umgesetzt wurde. Dann werde man gemeinsam nach Lösungen suchen. In manchen Branchen sei es einfach schwieriger, bis 2020 den Sprung auf 1500 Euro für die untersten Lohnbezieher zu schaffen, zeigte ausgerechnet ein Gewerkschafter im „Presse“-Gespräch Verständnis.

ÖGB und Arbeiterkammer stehen zu der Einigung – auch dann, wenn die SPÖ im Parlament die Möglichkeit hat, mit anderen Parteien einen höheren Mindestlohn zu beschließen? ÖGB-Chef Erich Foglar: „Ein Gesetz, mit dem man einen Mindestlohn festlegt, ist nicht das, was wir wollen. Ich gehe davon aus, dass auch die SPÖ erkennt, welchen Vorteil die kollektivvertragliche Regelung hat.“

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl musste sich für seine Zustimmung zu diesem Paket nur Stunden nach der Bekanntgabe von Parteifreunden und Wirtschaftskollegen harsche Kritik anhören. Georg Kapsch, Chef der Industriellenvereinigung, sprach von einem „bedauerlichen Ergebnis“. Die „einseitige Einigung“ beim Mindestlohn koste heimische Unternehmen bis zu 900 Millionen Euro. Wirtschaftsminister Harald Mahrer (ÖVP) meinte, er hoffe noch auf Bewegung bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit.

Genau das hat der ÖGB versprochen, allerdings ohne Terminvorgabe. Die Arbeitszeit bleibe ein Thema und auf der Agenda, betonte ÖGB-Präsident Foglar. Es gebe diesbezüglich Verbesserungsbedarf. Man werde sich aber keine Terminvorgabe zur Lösung des Problems machen lassen.

Kein Thema für die Koalition

Dass die Koalition, wie eigentlich ausgemacht, nun das Thema an sich reißt und ein neues Arbeitszeitgesetz erarbeitet, kann man ausschließen. Zu weit liegen die Interessen von SPÖ und ÖVP auseinander – gerade in Zeiten des Wahlkampfs, wo man die eigene Klientel bedienen muss. Dass die ÖVP wiederum allein mit der FPÖ (und nur mit ihr hat sie eine Mehrheit) wirtschaftsfreundlichere Arbeitszeiten per Parlamentsbeschluss festlegt, ist auch eher unwahrscheinlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2017)

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