Das Burgtheater braucht auf jeden Fall neue Impulse

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Der designierte Direktor, Martin Kušej, ein kantiger Kärntner mit großer Fantasie und ein Brausekopf, hat gute Chancen, ein überzeugender Chef der größten Sprechbühne des Landes zu werden – wenn er tatsächlich Führungsqualitäten zeigt und zudem auch das Teamwork beherrscht.

Die wichtigste Pflicht des künftigen Burgtheater-Direktors, Martin Kušej, wird es sein, das Haus zu füllen: mit hohem Anspruch, dem Bildungsauftrag folgend, was Spaß natürlich nicht ausschließt. Zwischen diesen Polen muss ein Prinzipal balancieren. Auch wenn es nicht gern gehört wird: Wien hat zu viele Theater. Selbst an großen Häusern spürt man das bereits. Bei der jüngsten Inszenierung von Kušej an der Burg, Arthur Millers „Hexenjagd“ (wohl etwas lang, aber mit Ernst gemacht und bestens besetzt), war das Haupthaus in dieser Saison keineswegs immer voll. Es droht, was man aus Claus Peymanns Zeiten vor einer Generation kannte – als glamouröse Premieren mit reichlich Zustrom von Politikern und Prominenz im Repertoire keineswegs überrannt waren. Da gab es manchmal nur 70 Prozent Auslastung. Heute muss eine erfolgreiche Intendanz auf mehr als 80 Prozent kommen.

Die Finanzdecke ist dünner geworden, nicht erst seit dem „Burgtheater-Skandal“ von 2014 und dem vorzeitigen Abgang von Direktor Matthias Hartmann. Das Ensemble wurde gehörig verkleinert. Heute kann sich kein Schauspieler mehr nach zehn Jahren auf seine Pension freuen. Zur Unkündbarkeit dauert es 18 Jahre. Die Burgschauspieler werden teilweise stark strapaziert, sie müssen viel spielen, große Rollen über längere Zeit im Gedächtnis behalten, in Aufführungen, die auch körperlich anstrengend sind.

Als er das Residenztheater in München übernahm, holzte Kušej radikal das dortige Ensemble ab. Die Burgmimen fürchten sich, auch wenn er zugesichert hat, nicht alle Kräfte auszutauschen, so geht es doch um die Frage: Wer spielt die Hauptrollen? Und das werden dann womöglich die Neuen sein. Das Publikum wird darunter weniger leiden, es ist bekanntlich wankelmütig und freut sich über neue Gesichter. Wenn Kušej ein überzeugendes Programm macht, werden die Wiener herbeiströmen.

Hoffentlich. Warum hat sich Kulturminister Thomas Drozda, ein kluger Manager und SPÖ-Parteisoldat seit frühesten Zeiten, überhaupt für ihn entschieden? Vielleicht hat es auch politische Gründe. Falls das traditionell „rote“ Burgtheater sich nach der Wahl in einer schwarz-blauen Regierung (herzlos, sparsam, kunstfern, speziell die FPÖ hat diesen Ruf) wiederfindet, wird der neue Chef als Bollwerk gegen rechts da sein.

Ein Spezialist für düstere Bilder

Wofür Kušej ästhetisch steht, weiß man: Ein Schönfärber ist er nicht, vielmehr Spezialist für Düsteres wie Fantasievolles, zu dem häufig sein langjähriger Partner, der Bühnenbildner Martin Zehetgruber, beitrug. Kušej hat die Macht der Bilder, die heute State of the Art ist, früh erkannt. Mit Heiner Müllers „Philoktet“ in einer Kellerbühne gab er 1990 seine Visitenkarte in Wien ab. Der Mann, der in einem eigenen Verein, „My Friend Martin“, für sich werben ließ, was gewissen Narzissmus verrät, konnte schon damals mit wenigen Strichen und ohne Dekor, einfach mit guten Schauspielern, eine Welt erstehen lassen. Kušej ist kein Gag-Klitterer, auch kein Kopfmensch, der so lang mit Dramaturgen konferiert, bis er ein Konzept hat. Er ist vor allem ein Künstler, dünnhäutig und hellsichtig, voller Intuition. Er geht seinen Weg, stur, geradlinig, mit klaren Vorstellungen von der Mechanik der Macht, die sich oft hinter den bezaubernden oder entsetzlichen Liebesgeschichten alter Stücke verbirgt. Wenn er Führungsqualitäten zeigt und das Teamwork beherrscht, was er am Residenztheater in München gewiss praktizieren musste, hat er gute Chancen, ein überzeugender Burgchef zu werden.

Dieses Theater braucht auf jeden Fall neue Impulse: Abstand vom Regietheater, das dem deutschsprachigen Theater gewiss Modernität verschaffte, nun aber verbraucht ist. Was kommt also auf der Bühne nach Stückzertrümmerung, Film, Video oder Popmusik? All diese werden wichtige Elemente des neuen Theaters bleiben. Es sollte sich nicht im Elfenbeinturm verschanzen, sondern muss mit sinnlichen Geschichten aktuell sein und vor allem die Jugend ansprechen, die sich auch in hedonistischen Zeiten vor der Sinnsuche nicht drücken kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2017)

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