„Bete für mich und meine Familie“ – Schreiben unter Todesgefahr: E-Mail-Verkehr mit einer Journalistin, die nun in Haft ist und wahrscheinlich gefoltert wird.
Ich bin Journalistin... Und um im Iran Journalist zu sein, muss man entweder verrückt sein oder jemand, der seinen Job und sein Land liebt“, beschreibt sich die 29-jährige Iranerin selbst. Das muslimische Kopftuch trägt sie in Europa, das sie mehrfach besucht hat, nur selten, zieht vielleicht beiläufig einen Paschmina über die dunklen Locken – oder trägt ihr Haar offen. Mit strahlenden Augen hat sie mir, als ich sie im Dezember 2007 in Berlin kennenlernte, von ihrem Berufsalltag erzählt: „Ich stelle mir vor, europäische Journalisten fragen sich jeden Morgen: ,Worüber schreibe ich heute?‘ Iranische fragen sich: ,Worüber schreibe ich heute nicht?‘“ Was für uns deprimierend klingt, spornt sie nur noch an.
2007 verteidigte sie energisch ihr Tun gegenüber Exil-Iranern – die Community ist online stark vernetzt –, die meinten, man könne dieses Land unter der Herrschaft von Mahmoud Ahmadinejad nur verlassen. Sie würde das als „im Stich lassen“ werten. Kommt nicht in Frage.
Nun lief Montagabend ein Schauer über meinen Rücken: als ich im deutschen Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ihr Foto sah. Seit Ende August ist sie in Haft, heißt es da. Inständig hatte sie mich 2007 gebeten, zwar über ihr Schicksal zu berichten, dabei aber ihren Namen nicht zu nennen; das habe ich bisher nicht getan, werde es auch jetzt nicht tun. „Der Spiegel“ indes tut es.
„Danke, dass du an mich und meinen Iran denkst“, antwortete sie am 22.Juni 2009 auf mein E-Mail. Da fanden in Teheran bereits seit Tagen Demonstrationen gegen das umstrittene Wahlergebnis statt, das Mahmoud Ahmadinejad zum Sieger erklärte. „Du kannst es dir nicht vorstellen“, schrieb sie, „mein geliebtes Land geht vor meinen Augen in die Hölle. Die Killer sind in den Straßen. Sie haben bereits Menschen getötet.“ An diesem Tag wurde Neda begraben, jene 19-Jährige, die im Internet zur Ikone der iranischen Widerstandsbewegung wurde.
Die Schilderungen im E-Mail werden persönlicher: „Die Bassij (regimetreue Miliz, Anm.) haben meiner Schwester die Hand gebrochen. Sie rufen bei mir zu Hause an, um mich zu finden, und fragen nach mir, seit einer Woche. Ich kann nicht nach Hause. Mein Handy habe ich abgedreht.“ Schon früher hat sie einschüchternde Anrufe des Geheimdienstes bekommen, nachdem sie einen regimekritischen Text veröffentlicht hatte. Dabei legte sie stets großen Wert auf die Ausgewogenheit ihrer Artikel, die sie für zahlreiche Tageszeitungen und mehrere Nachrichtenagenturen verfasste.
2008 wurde sie inhaftiert, um nicht zur Präsidentschaftswahl in die Vereinigten Staaten reisen zu können. „Bitte sag deiner Regierung, dieser Diktator ist nicht unser Präsident. Sag ihnen, sie sollen die wirtschaftlichen Beziehungen zu ihm abbrechen. Und sie müssen an die Menschenrechte denken. Ich bin so traurig und unter starkem Druck... Bitte bete für mich, meine Familie und mein Land.“ Ein zweites Mail blieb unbeantwortet.
Vulgäre Leibesvisitation
Genau zwei Monate später, so beschreibt es nun „Der Spiegel“, am 22.August, nimmt der Geheimdienst die junge Frau fest. Es ist der erste Tag des Fastenmonats Ramadan; sie bereitet mit ihrer Mutter, einer Ärztin, zu Hause das Festessen für den Abend vor. Drei Männer durchsuchen Wohnung und Computer, nehmen die Journalistin mit. Sie ist dabei eine von zahlreichen Journalisten und Bloggern, die im Laufe der Proteste verhaftet wurden. Der Mutter versprachen die Männer, die 29-Jährige wie ihre eigene Tochter zu behandeln, so „Der Spiegel“.
Eine Lüge: Sie kam in Teherans Evin-Gefängnis, zuerst in eine der winzigen unterirdischen Zellen, die von den Häftlingen „Gräber“ genannt werden. Ihre Anwältin erfuhr erst nach zwei Monaten, was ihr vorgeworfen wird: „Propaganda gegen das Regime“. Da sitzt die junge Frau bereits in einer oberirdischen Zelle. Gemeinsam mit der zweiten inhaftierten Journalistin, sie sind die beiden einzigen Frauen im Trakt, tritt sie in Hungerstreik. Eine von ihnen wird freigelassen – die 29-Jährige nicht.
Den Eltern wird gestattet, sie zu besuchen: Sie sei in einem besorgniserregenden Zustand, wird die Mutter im „Spiegel“ zitiert, habe weiße Strähnen in ihrem dunkelbraunen Haar. „Starkem mentalem und physischem Druck“ sei sie ausgesetzt worden, um zu gestehen, heißt es im US-Magazin „Frontline“. Der Vater, ein ehemaliger Offizier, berichtet dort von einer „vulgären Leibesvisitation“, die seiner Tochter widerfahren ist; auch der übliche Vorwurf an weibliche Gefangene, sie führe ein „unmoralisches Leben“, sei ihr gemacht worden.
Bei seinem Besuch habe sie vor Zorn über die Haftbedingungen geschrien. Er selbst hat im Ersten Golfkrieg in der iranischen Luftwaffe gedient, seine damals kleine Tochter hatte ihn nicht wiedererkannt, wenn er nach Monaten von der Front zurückkam. Als Kriegsveteran hatte er laut „Frontline“ nicht gedacht, dass seiner Tochter und ihm derartiges zustoßen könnte.
„Ich brauche ein bisschen Freiheit“
Die Familie kämpft seit der Verhaftung um die Freilassung der jungen Frau, wurde bisher aber nur vertröstet. Auch Menschenrechtsorganisationen konnten nichts ausrichten. Vergangene Woche hielten die Eltern einen achtstündigen Sitzstreik im Revolutionsgericht ab – und wurden wieder vertröstet. „Ich bin müde“, schrieb die Journalistin am 14.August, in ihrem vorerst letzten Facebook-Eintrag, „ich brauche frische Luft. Ich brauche ein bisschen Freiheit.“
Am Montag wurde die auflagenstärkste iranischen Zeitung, „Hamshari“, geschlossen – weil sie bei Ahmadinejad in Ungnade gefallen war. Seit dem Sommer wurden mehrere regimekritische Zeitungen verboten, die Internetzensur wurde verschärft.
KAMPF GEGEN DAS INTERNET
■Billig, schnell, grenzenlos, allgemein zugänglich – das sind die Assets des Internet, die freilich mittlerweile Diktaturen das Fürchten lehren. Dissidenten haben heute andere Möglichkeiten, sich bemerkbar zu machen als zu Zeiten des Kalten Krieges. Die Ambivalenz, einerseits Geschäfte mit dem Westen zu machen, andererseits die eigenen Bürger zu knebeln, zeitigt skurrile Maßnahmen: Geräte werden beschlagnahmt, Computer dürfen nur mehr in Hotels aufgestellt werden usw. „Reporter ohne Grenzen“ hat ein „Handbuch für Blogger und Internetdissidenten“ herausgegeben: in fünf Sprachen, kostenlos. Es gibt noch andere Kanäle. Speziell Länder wie der Iran, China haben eine sehr lebendige Filmszene. Auch Bücher boomen: „We are Iran: The Persian Blogs“ (Soft Skull Press NY bzw. Amazon).
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2009)