Wenn CO2 echte Angst macht

(c) Reuters (Brendan McDermid)
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Beim „Waterboarding“ wird durch simuliertes Ertränktwerden via CO2 das Furchtzentrum aktiviert.

Kohlendioxid (CO2) verbreitet derzeit Angst und Schrecken, es steht für alle Treibhausgase, die mit der Erwärmung drohen, an der manche die Menschheit aussterben sehen. Das ist eine eher entlegene Angst und eine abstrakte, an der Erwärmung stirbt so rasch keiner, vor ihr zittert so rasch auch keiner. Aber CO2 kann wirklich den Tod bringen, und es kann unmittelbar Angst machen, Psychologen wissen es seit hundert Jahren – das Einatmen von CO2 löst Panikattacken aus –, Folterer nützen es auch: Beim „Waterboarding“ etwa, der in Guantánamo üblichen Praxis, die das Ertränkt- bzw. Ersticktwerden simuliert, steigen mangels Atemmöglichkeit die CO2-Gehalte im Körper.

Warum dadurch Angst entsteht, Todesangst, interessiert die Folterer nicht, die Psychologen schon. Trotzdem haben sie seit hundert Jahren keine Antwort, nur Hypothesen: Das CO2 könnte aufs Herz schlagen – es setzt die Sauerstofftransportfähigkeit des Hämoglobin herab, das Herz muss stärker pumpen –, oder irgendwie direkt auf das Gehirn. Fest steht nur, dass die CO2-Angst ihren Grund hat, das Gas bringt Menschen ab Konzentrationen von fünf Prozent in der Luft – in normaler Luft sind 0,038 Prozent – Schwindel und Narkose, ab acht Prozent in 30 bis 60 Minuten den Tod.

Den erlitten etwa 1800 Menschen am Lake Nyos in Kamerun: Aus dem See stieg CO2, es legte sich über das Land – es ist schwerer als Luft –, die Menschen hatten keine Chance. Aber man muss nicht in exotische Regionen: CO2 ist das Gas, das Menschen in Weinkellern, Futtersilos und Jauchegruben betäubt und tötet. Die Evolution hatte also allen Grund, bei atmenden Lebewesen mit Detektoren und Alarmsignalen vorzusorgen. Wie sie das tut, hat John Wemmie (University of Iowa) nun an Mäusen geklärt.

Ihm ist früher schon aufgefallen, dass es im Gehirn – nicht irgendwo, sondern dort, wo Furcht verarbeitet und auf sie reagiert wird, in der Amygdala – Ionenkanäle gibt (ASIC1a), die auf Säure ansprechen. Nun konnte er zeigen, dass das entsprechende Signal von CO2 kommt, natürlich, eslöst sich in Wasser: Kohlensäure. Das Gehirn hat also einen eigenen Sensor für einen Umweltreiz, das ist einzigartig, alle anderen Daten werden von Sinnesorganen gemeldet (aber CO2 erspürt auch eine feine Nase nicht, es ist geruchlos). Und der Sensor sitzt eben direkt in dem Zentrum, das entscheidet, wie auf angstmachende Situationen reagiert wird: „Flüchten oder standhalten.“

Die lähmende Wirkung des Gases unterbindet allerdings die Flucht, ab zehn Prozent CO2 in der Luft „froren“ die Mäuse vor Angst „ein“. Schaltet man ihnen gentechnisch die Ionenkanäle aus, zeigen sie geringere Furcht (nur geringere, nicht gar keine, das System hat Redundanz, noch andere, unbekannte Sensoren, vielleicht auf für CO2 direkt).

Im nächsten Schritt will Wemmie erkunden, ob der Mechanismus bei Menschen der gleiche ist und wie man ihn bei krankhafter Angst nutzen kann, pharmakologisch oder anders: „Es gibt die Vermutung, dass besondere Atemübungen Anti-Angst-Effekte haben. Unsere Resultate lassen erwarten, dass das durch Erhöhung des pH-Werts (Entsauerung) funktioniert.“ (Cell, 139, S.1012)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2009)

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