Deutschland: Der neue „echte Gemeinschaftsgeist“ in der Union

Merkel will Vollbeschäftigung bis 2025.
Merkel will Vollbeschäftigung bis 2025.(c) APA/AFP/JOHN MACDOUGALL
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Angela Merkel und Horst Seehofer versprechen „Vollbeschäftigung“ bis 2025, Steuerentlastungen und mehr Geld für Familien.

Berlin. Angela Merkel schaut zu Horst Seehofer auf. Notgedrungen. Der Mann am Rednerpult neben ihr ist 1,93 Meter groß. Aber sie lächelt. Vor ein paar Monaten hat die Kanzlerin noch mit gequältem Gesichtsausdruck an der Seite des CSU-Chefs gesessen, der ihr einmal eine „Herrschaft des Unrechts“ unterstellt hat. Aber der Horst Seehofer des Juli 2017 klingt ziemlich anders als der Horst Seehofer 2016. Er schwärmt über den „echten Gemeinschaftsgeist“ zwischen den Schwesterparteien und das „blindem Vertrauen“, das er gegenüber der Kanzlerin während der Verhandlungen über das Wahlprogramm hatte, das die beiden gestern Mittag vorstellten.

Bisher hat es von der Union nur die Ankündigung gegeben, auf ein Rentenkonzept im Wahlkampf zu verzichten, und ein paar Plakate mit dem Slogan: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. Die Konkurrenz mit ihren Wahlprogrammen raunte über die Inhaltsleere der Union. Am Montag nun legten auch CDU/CSU nach. Statt auf Parteitagen fixiert die Union ihr Programm hinter verschlossenen Türen. Es sind ja zwei Parteien, das macht die Sache schwieriger. Im Zweifel räumen Merkel und Seehofer unter vier Augen die größten Brocken aus dem Weg. Dann stimmen die Vorstände ab. Und dann ist Pressekonferenz.

Fernziel „Vollbeschäftigung“

„Im Zentrum steht das Thema Arbeit“, sagt Merkel. Das neue Zauberwort heißt „Vollbeschäftigung“, die bei einer Arbeitslosigkeit von drei Prozent (derzeit: 5,5) erreicht ist. Ein Fernziel, das die Union bis 2025, also dem Ende der übernächsten Legislaturperiode, erreichen will. Dazu braucht es nach Lesart der Kanzlerin auch mehr Facharbeiter aus dem Ausland. Deshalb soll es nun ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz geben, in dem die Einwanderung im Zweifel erleichtert wird – „für all jene, die einen konkreten Arbeitsplatz nachweisen“ können.

Weiters wird das alte Credo der Union – keine neuen Steuern – um Entlastungen erweitert. Zumal die Staatskasse prall gefüllt ist. Insgesamt will die Union „die Einkommensteuer um gut 15 Milliarden Euro senken“, der Spitzensteuersatz von 42 Prozent etwa soll erst bei einem steuerpflichtigen Jahreseinkommen von 60.000 Euro greifen, der Solidaritätszuschlag schrittweise auslaufen – recht ähnlich wie bei der SPD also, die jedoch im Gegenzug Spitzenverdiener höher belasten will. „Das der Bevölkerung zu erklären, halte ich für aussichtslos“, spottete Seehofer, dessen CSU auch auf eine Reihe von Entlastungen für junge Familien gedrängt hatte. Neben der Anhebung des Kinderfreibetrags soll auch das Kindergeld (deutsches Pendant zur Familienbeihilfe) um 25 Euro pro Monat erhöht werden.

Familien müssen nach den Vorstellungen der Union beim erstmaligen Ankauf eines Eigenheims künftig keine Grunderwerbsteuer zahlen und erhalten zudem ein „Baukindergeld“ von 1200 Euro jährlich – auf maximal zehn Jahre. Das alles gefällt Seehofer.

Das Störfeuer aus Bayern ist eingestellt. Zumal die CSU um die Beliebtheit der Kanzlerin weiß, die in den Umfragen wieder so gut dasteht wie vor jener Flüchtlingskrise, die das schwere Zerwürfnis zwischen den Schwesterparteien ausgelöst hat. Dabei ist ein Streitpunkt – die Frage nach einer Flüchtlingsobergrenze – nicht ausgeräumt. Er hat allenfalls an Brisanz verloren. Die CSU wird die Obergrenze nun in ein eigenes Bayernprogramm schreiben, und sie wird hoffen, dass alles wieder so läuft wie 2013: Damals hat Merkel im Wahlkampf die von der CSU geforderte Pkw-Maut ausgeschlossen. Am Ende kam sie doch.

Merkels CDU hat indes auf ihrem Parteitag 2016 gegen den Willen der Kanzlerin die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft verlangt. Der Kompromiss nennt sich nun Generationenschnitt, die Enkel von Zuwanderern müssen sich für einen Pass entscheiden. Der Markenkern der Union – innere Sicherheit – hat während der Flüchtlingskrise gelitten. Nun werden auch 15.000 zusätzliche Polizisten versprochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2017)

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