Bei den Ermittlungen zum Mord an zwei Pensionisten gibt es eine Wende. Laut Aussagen des Innenministers handelt es sich bei dem Tatverdächtigen um einen radikalisierten Moslem.
Völlig überraschend ist Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) gestern Abend in Wien vor die Presse getreten, um noch Überraschenderes bekannt zu geben: Der am 30. Juni an einem Ehepaar in Linz begangene Doppelmord habe eindeutig einen IS-Hintergrund, erklärte der Minister. Dies habe sich aus den Auswertungen sichergestellter elektronischer Datenträger und sozialer Netzwerke ergeben, in denen der tatverdächtige Tunesier (54) aktiv war.
Dem Tötungsdelikt waren am Freitag vergangener Woche eine 85 Jahre alte Frau und ihr 87-jähriger Mann zum Opfer gefallen. Sie wurden nach ihrem gewaltsamen Tod in ihrem brennenden Wohnhaus entdeckt. Der mutmaßliche Täter hatte schon seit 1989 in Österreich gelebt, sich nach der Tat gestellt und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
Täter im Netz aktiv
Zunächst hatte der 54-jährige Tunesier angegeben, das Paar wegen der von ihm vermuteten Nähe zur FPÖ getötet zu haben. Diese machte er für viele negative Erfahrungen verantwortlich, die er subjektiv in Österreich gemacht und auf die Freiheitlichen projiziert hatte. Mit der Tat habe er ein Exempel an der Gesellschaft statuieren wollen.
Nach den nunmehrigen Erkenntnissen handelt es sich bei ihm jedoch laut Sobotka um einen radikalisierten Moslem. Details zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen nannte der Ressortchef nicht. Man wolle weitere Nachforschungen zu einem allfälligen Netzwerk nicht behindern. „Für uns gilt es, in dieser besonderen Situation, die Ermittlungen mit großer Bedachtnahme fortzusetzen“, bat der Innenminister um Verständnis. Deshalb könne er auch keine weitern Details bekannt geben.
Warum wendet sich Sobotka dann an die Öffentlichkeit? Hat vielleicht der Wahlkampf damit etwas zu tun? Nein, dazu habe er sich entschlossen, um keine Spekulationen aufkommen zu lassen, nachdem am Nachmittag die Informationen vom IS-Hintergrund übermittelt wurden, sagte er. Und man werde auch weiterhin über den Fall laufend informieren, doch die Ermittlungen hätten Vorrang und würden mit größter Ernsthaftigkeit und Konzentration geführt.
Die eigentliche Tat sei ohnehin eindeutig geklärt und alle diesbezüglichen Spuren ausgewertet. Der 54-Jährige hätte das Ehepaar alleine getötet, sagte Andreas Pilsl, der Landespolizeidirektor von Oberösterreich. Dabei seien unmittelbar keine Komplizen beteiligt gewesen. Der Hintergrund werde jedoch intensiv untersucht.
Der Verdächtige hat laut Innenminister über mehrere verschlüsselte Zugänge verfügt, weshalb man erst im Verlauf der vergangenen zwei Tage die Tragweite der Tat erkennen konnte. Nun müssten die Verbindungen des Tunesiers nachverfolgt werden.
Der Muslime wollte nach derzeitigen Erkenntnissen nie als Kämpfer nach Syrien, sagte der Innenminister. Laut Pilsl war er vor kurzem in seine Heimat gereist, um sich dort mit dem mitgenommenen Werkzeug ein zweites Standbein in seinem erlernten Beruf als Tischler aufzubauen. Ob der Verdächtige bereits mit den Vorwürfen eines islamistischen Hintergrunds konfrontiert wurde und wie er sich dazu geäußert habe, wollte Sobotka nicht bekannt geben. Auch weitere Journalistenfragen blieben unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungen, die weiter von der Landespolizeidirektion Oberösterreich geführt werden, inhaltlich unbeantwortet.
Dass sich Österreich doch im Wahlkampf befindet, zeigte sich dennoch. Der ÖVP-Politiker Sobotka nutzte die Gelegenheit, um für sein „Sicherheitspaket“ zu werben. Dabei stellen sich im Zusammenhang mit den Untersuchungen andere Fragen. Noch am Samstag hatten die Ermittler versichert, den mutmaßlichen Täter nicht in der Nähe der radikalislamischen Szene zu sehen. Der Mann habe zwar ein religiöses Leben geführt, der politische Islam habe ihn jedoch nicht interessiert, hatte der oberösterreichische Landespolizeidirektor erklärt. Weder sei der Tunesier bisher durch Radikalisierungstendenzen aufgefallen noch einschlägig vernetzt. All das, eine Fehleinschätzung wie sich gestern zeigte.
Für IS untypisch
„Typisch für den IS ist das definitiv nicht“, sagt Politologe Thomas Schmidinger im Gespräch mit der „Presse“. Dass es sich nämlich um eine Tat handelt, die abseits der Öffentlichkeit begangen wird. Und nach der sich der Täter bei der Polizei stellt. Auch habe es bisher noch kein Bekennerschreiben oder ein Video gegeben - und „gerade der IS schreibt sich schnell alles auf die Fahnen, was man sich auf die Fahnen schreiben kann.“ Er wisse nicht, welche Informationen das Innenministerium habe, das den Fall in die Nähe des IS rückt, „aber es wäre ein absoluter Ausnahmefall“. Schmidinger hält es jedenfalls für „äußerst unwahrscheinlich, dass es einen Zusammenhang mit dem IS gibt.“
Erschüttert reagierte der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) auf die Neuigkeiten. „Egal aus welchem Motiv dieses grauenhafte Verbrechen begangen wurde, das Gewaltverbrechen am Ehepaar in Linz Dornach ist eine unfassbare Gräueltat. Die Tat und das Motiv haben uns erschüttert, aber sie werden nicht unsere demokratischen Grundsätze und den Zusammenhalt in Oberösterreich erschüttern“, erklärte Stelzer. Es zeige sich aber, „dass wir offensichtlich auch in Österreich größere Integrationsprobleme haben, als wir dachten.“ Wie Sobotka forderte Stelzer zudem mehr rechtliche Möglichkeiten für die Sicherheitsbehörden. Auch Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) reagierte auf die neuen Ermittlungsergebnisse prompt. Er forderte die Sicherheitsbehörden zur wirksamen Bekämpfung extremistischer Bedrohungen in Österreich auf. „Bei der Ermordung des alten Ehepaares in Linz sind die zuständigen Stellen nun gefordert unverzüglich zu klären, wo vergleichbare Gefahren bestehen und wie wir diese wirksam bekämpfen können.“
(APA/Red.)