Wie die westlichen Demokratien den friedlichen Freiheitskampf der Iraner moralisch unterstützen können.
Viele Politiker, Experten, Journalisten und interessierte Bürger in Österreich und ganz Europa fragten sich in den vergangenen Wochen: Was ist eigentlich aus der Protestbewegung in Iran geworden? Nun, sie ist immer wieder seit diesem Juni auf die Straßen Irans zurückgekehrt. Auf beeindruckende Art geschah dies gerade wieder am 4. November, als die Iraner eindeutig bewiesen, dass sie Amerika nicht als Feindbild betrachten. Und so geschah es auch am 18. September, als die iranischen Menschen ohne Zweifel demonstrierten, dass sie nicht antisemitisch sind. Parallel zu den Demonstrationen auf der Straße hat der iranische Widerstand auch auf andere Formen des Protestes zurückgegriffen und neue Wege kreiert.
Die Kreativität der Protestler kennt dabei keine Grenzen. So boykottieren sie in den vergangenen Monaten Zigaretten, da dies eines der Geschäftsfelder der Revolutionsgarden ist. Auch das Staatsfernsehen der Islamischen Republik wird boykottiert und muss nun einen Rückgang an Zuschauern von mindestens 40 Prozent verkraften. In unserer westlichen Medienlandschaft hätte ein solcher Einbruch an Zuschauerzahlen die Absetzung des Programms zur Folge. Ein totalitäres System stellt ein solch großer Verlust vor eine ernsthafte legitimatorische Krise. Die Iraner haben auch Slogans der Freiheitsbewegung wie „Tod dem Diktator. Im Namen der Religion dreißig Jahre Verbrechen“ auf Geldscheine geschrieben und sie so in Umlauf gebracht. Und nicht zu vergessen die allabendlichen „Gott ist groß“-Rufe von den Dächern der Häuser und die allgegenwärtige Protestfarbe Grün. Man sieht in den Städten grüne Banner, Bänder, Schals und sogar grün lackierte Fingernägel.
Auf Versöhnung setzen
Auf YouTube gibt es ein beeindruckendes Video aus der U-Bahn-Station in Teheran vom 18. September: Ein grüner Protestler macht mit einem grünen Tuch einen Schritt auf einen Regimeanhänger zu und sagt ihm ganz sanft „Mein Lieber, du musst ziemlich müde sein. Hier, trockne deinen Schweiß mit dem grünen Tuch ab.“ Die iranische Gesellschaft war in den vergangenen drei Dekaden gespalten – nun ist sie dabei zusammenzuwachsen. Dabei wollen die friedlichen Protestteilnehmer die wenigen noch treuen Regimefreunde behutsam auf ihre Seite ziehen. Nach Jahren der Denunziation, der Vorwürfe und ideologischen Grabenkämpfe ist dies eine bemerwerkenswerte Leistung dieser jungen iranischen Generation. Sie hat aus den Fehlern der Väter und Mütter gelernt und setzt auf Versöhnung.
Als ein weiteres Merkmal des ungebrochenen Widerstandes sind besonders Karikaturen von iranischen Künstlern in den letzten Monaten hervorzuheben. Eine Zeichnung etwa zeigt ein trauriges Mädchen, das sich bei Nokia Siemens bedankt, dass nun seine Eltern verhaftet wurden. Eine weitere Zeichnung sagt „Life is beautiful without Nokia Siemens“ und symbolisiert damit den Boykott von Nokia-Siemens-Produkten durch die iranische Bevölkerung, nachdem bekannt wurde, dass dieses Joint Venture Überwachungstechnologie an die Islamische Republik verkauft hatte. Da es keine freien Medien im Iran gibt und auch noch die letzte Reformzeitung „Etemad – e Melli“ verboten wurde, ruft ein Karikaturist in einer Zeichnung die Iraner auf, durch Facebook, Twitter, YouTube und Blogs ihre eigenen Medien zu erschaffen und damit all die Ereignisse im Iran nach außen zu tragen – was die Iraner auch leidenschaftlich tun.
Alles, was in diesem nahöstlichen Land passiert, erreicht die Welt in Minuten. Iran ist nicht Nordkorea. Und die Tatsache, dass die Weltöffentlichkeit so großen Anteil am Schicksal der Iraner nimmt, hat ihnen sicherlich weiteren Mut gegeben, ihre Proteste trotz all der Repression fortzuführen. Auf Modeschauen, Filmfestivals und vielen anderen publikumswirksamen Veranstaltungen sah man in den vergangenen Monaten eine überwältigende Solidarität mit der iranischen Freiheitsbewegung. Wenn beispielsweise auf den Konzerten von U2 immer wieder an die Menschen im Iran und ihren friedlichen Kampf für die Freiheit erinnert wird – durch Textzeilen und durch die Farbe Grün –, dann ist das ein herausragendes Zeichen durch populärkulturelle Elemente. So geschehen am 5.November bei den MTV Awards, als der Künstler Jay-Z in einem gemeinsamen Auftritt mit U2 rappte: „Turn on your radio, out of Berlin, walls are fallen, revolution is calling out in Iran... Get up! Stand up! Stand up for ur right!“
Das Volk meint es ernst mit dem Wandel
Mit dem im Hintergrund Grün erleuchteten Brandenburger Tor zeigt dies, dass die Menschen in Iran sich in der Tradition der friedlichen Revolution von 1989 bewegen. Und sie sind entschlossen, die Tyrannei abzuschaffen, denn ihr Protest beschränkt sich nicht allein auf die Figur von Ahmadinejad. Sie lehnen das ganze System ab, auch zu erkennen an Slogans wie „Ein grün erblühender Iran braucht keine Atombombe“ und „Khamenei, deine Führerschaft wird nicht mehr anerkannt, da du ein Mörder bist“. Am 7. Dezember wollen die Iraner wieder auf die Straßen gehen. Bis dahin werden sich ihre Proteste weiterhin auf kreativen Wegen entfalten.
Fast ein halbes Jahr nach dem Wahlbetrug vom 12. Juni und der entstandenen Freiheitsbewegung sollte die Frage im Westen nicht mehr lauten, was aus den Protesten geworden ist, sondern wie die westlichen Demokratien den friedlichen Freiheitskampf der Iraner moralisch unterstützen können. Popkünstler haben es vorgemacht. Politiker müssen ihnen folgen. Das iranische Volk meint es ernst mit dem Wandel.
Saba Farzan, geboren in Teheran und aufgewachsen in Deutschland, ist Soziologin und Publizistin. Zu ihren Spezialgebieten gehört die iranische Zivilgesellschaft.
meinung@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2009)